Schneebraut
zurückgedreht worden sei; die Möbel und Dekorationen waren farbenfroh und altmodisch. Nichts passte zusammen, und doch bildete die Wohnungseinrichtung eine Art Einheit. War sie wirklich gefallen, oder war sie geschlagen worden? Und hatte der Angreifer sie drinnen oder draußen angegriffen? War es jemand, den sie kannte, den sie hereingebeten hatte?
Drinnen deutete nichts auf einen Kampf hin – weder im Wohnzimmer noch in der kleinen Küche. Die Kücheneinrichtung schrie Ari in quietschgelber Farbe entgegen, wie aus einer Zeitschrift aus der Mitte der achtziger Jahre geschnitten. Neben dem Herd stand ein billiges und abgewetztes Messerset. Dort gab es Platz für fünf Messer, drei kleinere und zwei größere. Es waren aber nur noch vier Messer da. Vielleicht ein Zufall, vielleicht auch nicht.
Ari warf einen Blick ins Schlafzimmer, verweilte einen Augenblick beim kleinen Jesusbild über dem Ehebett und ließ die Gedanken zur Theologie hinüberschweifen.
Séra Ari
. Er fühlte sich viel besser, seit er bei der Polizei war. Was hatte Gott denn schon für ihn getan? Ihm seine Eltern weggenommen, als er sie noch nicht mal richtig kennengelernt hatte.
Er schaute zum Fenster hinaus.
Es hatte aufgehört zu schneien. Als ob eine Hand Einhalt geboten hätte.
In diesem Moment sah er das Telefon. Ein kleines rotes Handy auf dem ungemachten Bett, neben dem Kissen. Ihr Handy? Wahrscheinlich. Ein plötzliches unangenehmes Gefühl überkam ihn, er spürte einen Stich im Magen, sein Herz schlug schneller. Konnte es sein? Er gab das Handy in eine kleine Tüte und steckte sie in seine Tasche.
Konnte es sein?
Nein, wohl kaum. Zum Teufel nochmal.
Ari ging zur Wohnungstür hinaus, die Treppe hoch und klingelte bei Leifur an der Tür.
Leifur wirkte müde; schien sich aber über den Besuch der Polizei so spät am Abend nicht zu wundern.
»Entschuldige, dass ich zu dieser Zeit noch störe«, sagte Ari. »Ich bleibe nur kurz, du musst ja morgen vermutlich arbeiten.« Ari lächelte, versuchte, freundlich zu sein. Séra Ari, er hätte zweifelsohne auch mit den Schäfchen seiner Kirchgemeinde einen ungezwungenen Umgang gepflegt.
Leifurs Stimme war dunkel, tief: »Ist schon in Ordnung. Ich habe morgen frei.«
Der Labradorhund bellte, als er Ari sah, und kam, um den Gast zu begrüßen. Freundlich, angenehm. Hatte nicht bemerkt, dass eine junge Frau, dem Tod näher als dem Leben, im Garten aufgefunden worden war.
Der Geruch von Sägemehl hing im Eingang in der Luft, und Ari roch ihn auch, als er das Wohnzimmer betrat; er erinnerte ihn an den Werkunterricht in der Grundschule – die Holzarbeiten, die er seinen Eltern geschenkt hatte. Das Wohnzimmer war karg, mit einigen wenigen eintönigen Möbeln – schlicht und farblos, beinahe schon das vollkommene Gegenstück zur Farbenpracht im unteren Stock. Es hing nichts an den Wänden, auf dem Fernseher stand ein gerahmtes Foto – das einzige Bild im Wohnzimmer; von einem Jugendlichen – das Konfirmationsfoto.
»Möchtest du Kaffee?«
»Tee vielleicht.« Ari verspürte kein besonderes Bedürfnis, hier gekünstelte Freundlichkeit walten zu lassen, da es sich um ein so raues und alltägliches Umfeld handelte, kein Grund also, um sich affektiert und aufgesetzt zu geben.
»Hast du diesen Tisch gemacht?« Ugla hatte ihm erzählt, dass Leifur Schreiner sei.
»Ja, genau.« Etwas beschäftigte ihn, etwas, das Ari nicht in Ruhe ließ.
Nach einer kurzen Zeit war der Tee bereit und Leifur hatte sich auf das graue Sofa gesetzt; der Hund legte sich zu seinen Füßen hin.
»Warst du den ganzen Abend zu Hause?«
»Ich kam nach sechs Uhr nach Hause. Ich arbeite an der Tankstelle.«
»Und warst du seither zu Hause?«
»Ja – ich war am Basteln. Ich werkle manchmal am Abend, ich habe hier drinnen ein Arbeitszimmer. Bekomme ab und zu einen Auftrag. Ein bisschen zusätzliches Taschengeld.«
»Stört das die Nachbarn denn nicht?«
»Doch, wahrscheinlich schon – aber ich versuche, um zehn Uhr aufzuhören. Der Fernseher schluckt diesen Lärm soweit ganz gut.«
Er nahm einen Schluck von dem Tee, den er wohl aus Solidarität mit Ari trank, und fügte dann hinzu: »Wir haben eine ganz gute Vereinbarung, ein stillschweigendes Einverständnis. Ich tue so, als würde ich die ganzen Streitereien nicht hören, und sie erlauben mir dafür, in Frieden zu werkeln.«
»Streitereien?«
»Ja, sie streiten sich oft ganz heftig. Zumindest er, verstehst du? Er ist wirklich laut, sie wehrt sich nur
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