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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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Früher besaßen die Leute keine so großen Wagen. Die Menschen besaßen kaum Autos – und sind ganz gut damit gefahren.«
    »Tja … das ist wohl, weil die Leute ab und zu aus dem Dorf herauskommen wollen, auch wenn das Wetter schlecht ist.«
    »Warum nur?«
    Ari verstand nicht.
    »Warum nur wollen sie aus dem Dorf herauskommen?«
    Ari hatte keine Antwort auf diese Frage.
    »Bist du hierhergekommen, um mich nach Hrólfur zu fragen?«, fragte sie dann.
    Ari nickte mit dem Kopf.
    »Das habe ich vermutet, mein Bester. Der gute Kerl. Er hatte nicht viele Freunde; vielleicht war ich sein bester Freund, die letzten Jahre zumindest.«
    »Kam er oft zu Besuch?«
    »Jede Woche, immer zur selben Zeit – er wohnte nicht weit von hier, am Hólavegur. Ein guter Spaziergang für ihn.«
    »Was für ein Mensch war er?«
    »Warum fragst du?« Sie schaute ihn argwöhnisch an. »War es nicht ein Unglück?«
    »Das untersuchen wir gerade. Ich möchte gerne glauben, dass es ein Unfall war, doch wir müssen die andere Möglichkeit mit Sicherheit ausschließen können.«
    »Hatte er sich nicht … ja, ein paar Schlucke gegönnt, der Kerl?«
    Sie schien alles genau mitzuverfolgen; Ari beschloss, ihr reinen Wein einzuschenken. »Doch, er schien schon ein wenig getrunken zu haben.«
    »Ein wenig; nun, naja. Nun, naja. Er war eine vielfältige Persönlichkeit, der Hrólfur, das kann ich dir sagen. Ich konnte ihn nie ganz durchschauen. Ich kann mich noch aus alten Zeiten an ihn erinnern, bevor er nach Süden gezogen ist. Dann wurde er ein weltberühmter Schriftsteller – das ist ihm ziemlich zu Kopf gestiegen. Er war stets so ehrgeizig; immer bereit, etwas Außergewöhnliches zu tun, die Welt kennenzulernen – was er auch tat. Er reiste viel, nachdem das Buch herausgekommen war.« Sie machte eine kurze Pause und ruhte ihre müden Augen aus. »Dann kam er wieder nach Hause. Die Menschen kommen immer wieder nach Hause, nicht wahr? Damals war er hier oben berühmter als unten im Süden. Es ist schwierig, wenn man vergessen geht. Er durfte aber stolz darauf sein, was für ein großartiges Buch das war. Einfach ein absolut phantastisches Buch. Hast du es gelesen?«
    »Nein, noch nicht – aber ich habe es ausgeliehen.«
    »Du musst es lesen. Du wirst es nicht bereuen.« Dann fügte sie noch hinzu: »Warum bist du eigentlich hierhergezogen? Hier gibt es keinen Hering mehr.«
    »Ich habe ein gutes Jobangebot bekommen.«
    »Mit alten Damen im Altersheim über verstorbene Schriftsteller zu labern … ist das so spannend? Du hättest während der Heringsjahre hier sein sollen, das kann ich dir sagen. Das war ein Leben. Ich begann mit dreizehn Jahren im Hering zu arbeiten, ihn zu salzen, und meine Kinder begannen noch früher. Die Jüngste war acht, als sie mit dem Salzen begann. Das ist doch heute sicher verboten?« Sie lächelte. »Es war wie im Märchen, hast du das gewusst? Wie im Märchen, als der Hering kam – und wie ein Albtraum, als er nicht mehr kam.«
    ***
    Sie bekam einen verträumten Gesichtsausdruck, schaute Ari nicht mehr länger an, sondern in die Leere, auf vergangene Tage; es war möglich, dass sie im Hintergrund plötzlich den Heringswalzer wieder hören konnte.
    »Ich brauchte zu meinen besten Zeiten nur gerade mal zwanzig Minuten, um ein Fass zu salzen. Zwanzig Minuten. Viele von ihnen schauten mich mit neidischen Blicken an. Damals hat man schon das eine oder andere aus sich herausgeholt.« Sie lächelte. »Du hättest die Boote sehen sollen, die jeweils mit dem Hering kamen – sie konnten sich kaum noch über Wasser halten, so beladen waren sie. Es war ein herrlicher Anblick. Bist du schon einmal den Berg hinauf in die Mulde bei Hvanneyrarskál gegangen?«
    Ari schüttelte den Kopf, war froh, dass sie ihm erneut in die Augen schaute; sie war nicht mehr länger in den Heringsjahren verloren.
    »Ich habe gehört, wie sie besungen wird«, sagte er kleinlaut, beschämt darüber, dass er den Ort selbst noch nicht besucht hatte.
    »Du solltest diesen Sommer dorthin gehen. Dort haben viele Liebesabenteuer ihren Anfang gefunden.«
    Er nickte mit dem Kopf und lächelte.
    »Aber sag mir, in Bezug auf Hrólfur …«
    »Ja, verzeih, mein Guter – ich habe mich total vergessen.«
    »Das ist schon in bester Ordnung.« Er lächelte erneut. »Sag mir, glaubst du, dass es irgendeinen Grund gibt, aus dem jemand Hrólfur die Treppe hätte hinunterstoßen wollen? Gab es jemanden, der einen Groll gegen ihn hegte?«
    »Ja und nein. Ich kann mir

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