Schneebraut
Wort im Raum stehen, als ob er selbst kein Auswärtiger sei. Das wirkte nicht sehr überzeugend.
»Ja …« Pálmi zögerte, schien sich zu überlegen, wie viel er mit dem jungen Polizeibeamten teilen sollte. »Eine alte Freundin meines Vaters aus Dänemark – sie ist mit ihrem Sohn zu Besuch. Eine Pilgerfahrt rund um Island.«
»Hat dein Vater in Dänemark gewohnt?« Ein wenig plaudern konnte nicht schaden; bei Leifur hatte es ganz gut funktioniert. Pálmi schien zudem eher scheu zu sein, wahrscheinlich war es besser, sich vorsichtig an ihn heranzutasten, wenn Ari ihm ein paar Geheimnisse über Hrólfur entlocken wollte.
»Ja, er zog dorthin, als ich noch ein Säugling war – ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern.«
Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Pálmi saß auf dem Sofa, Ari im Sessel, der zum Sofa gehörte, einem glänzend braunen Ledersofa, wahrscheinlich in den neunziger Jahren gekauft und ziemlich wenig benutzt, so wie es den Anschein machte. Das Wohnzimmer war eigentlich wie die Werbung aus einem alten Möbelkatalog, es gab nur wenig, das den persönlichen Geschmack des Besitzers zum Ausdruck brachte, abgesehen von den Gemälden an den Wänden. In Aris kleiner Wohnung – der Wohnung von Kristín und ihm – in der Öldugata gab es nur ein einziges Gemälde, das er von seiner Großmutter geerbt hatte, ein phantastisches Werk von Kjarval. Deswegen kannte Ari den Pinselstrich des Meisters – an den Wänden im Wohnzimmer bei Pálmi hingen vier Werke von Kjarval und zusätzlich einige alte Landschaftsbilder.
»Das ist ja eine unglaubliche Kunstsammlung.«
»Danke. Wohl kaum eine Sammlung, aber dennoch – einige Werke.«
»Ziemlich gut – ich besitze selber einen Kjarval. Erbstücke?«
»Was? Nein … ich habe sie selber gesammelt. Habe all die Jahre das Ersparte ins Haus und die Kunst gesteckt. Vertraue den Banken nicht.«
»Nein, genau – nach all dem, was passiert ist.«
»Ja, nein – ganz allgemein. Ich habe ihnen noch nie vertraut; habe das von meiner Mutter, der guten. Sie war von Natur aus so, wollte das Geld am liebsten unter dem Kissen aufbewahren – starb allerdings mit leeren Händen, wahrscheinlich hat sie das eigentliche Geld dann noch nicht viel höher eingeschätzt.« Er lächelte.
Die Atmosphäre hatte sich nun etwas entspannt.
»Ich wollte mit dir über Hrólfur reden. Du hast ihn gut gekannt, nicht wahr?«
»Doch, ganz ordentlich – er hielt die Leute normalerweise auf Distanz.«
Ari kam direkt zur Sache. »Weißt du, ob jemand einen Grund gehabt haben könnte, um … ja, ihn die Treppe hinunterzuschubsen?«
Das saß tief bei Pálmi.
»Was … ihr glaubt doch nicht etwa … jemand habe ihn geschubst?«
»Eigentlich nicht – aber es ist doch bemerkenswert, dass jemand nur ein paar Tage später Linda angegriffen hat; das hat uns veranlasst, den Todesfall im Theater noch intensiver zu untersuchen. So wie ich gehört habe, gab es zwischen ihm und Úlfur ein Zerwürfnis?«
»Nein, das würde ich so nicht sagen – aber sie haben oft heftig diskutiert. Das liegt in der Natur des Künstlers. Sie schlossen aber immer gleich wieder Frieden.«
»Warst du an diesem Abend bei ihnen auf dem Balkon?«
»Nein … ich ging vielleicht einmal oder zweimal hinauf. Ich war vor allem unten im Saal und habe die Probe mitverfolgt.«
»Und bist du in der Essenspause nach Hause gegangen?«
»Ja, ich musste das Manuskript etwas korrigieren, also bin ich auf direktem Weg nach Hause.«
»Hat dich jemand gesehen?«
»Was willst du damit sagen?«
»Kann das jemand bestätigen?«
»Ja … nein.«
»Habt ihr euch oft getroffen, Hrólfur und du?«
»Nicht oft, er lud Úlfur und mich manchmal zum Kaffee ein; oder aber zum Rotwein. Er besaß einen ganz tollen Weinkeller.«
»Weißt du, was nun mit dem Wein passiert?«
»Dem Wein?«
»Wer erbt das alles?«
»Da habe ich absolut keine Ahnung. Ich kenne seine Verwandten überhaupt nicht, und außerdem – ich weiß nicht mal, ob er überhaupt irgendwelche Verwandten hat.«
»Kann es sein, dass er ein Testament verfasst hat?«
»Er hat es auf alle Fälle mir gegenüber nie erwähnt«, antwortete Pálmi.
***
»Mit wem hatte er am meisten Kontakt im Dorf, abgesehen von Úlfur?«
Pálmi dachte nach.
»Tja … er besuchte die alte Sandra einmal in der Woche, sie lebt schon seit Jahren im Altersheim, der Körper ist müde geworden, obwohl sie im Kopf noch vollkommen klar ist, ich glaube, dass sie mittlerweile fünfundneunzig ist, die
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