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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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legte das Buch in ihren Schoß und fragte dann: »Sag mir, was ist eigentlich mit Linda passiert? Wie geht es ihr?«
    »Kanntest …« Er begann den Satz erneut: »Kennst du sie etwa?«
    »Ich weiß, wer sie ist; sie arbeitet im Krankenhaus. Ein herzensgutes Mädchen, aber sie hat immer diesen traurigen Blick, kann ich dir sagen.«
    »Sie ist jetzt im Krankenhaus in Reykjavík – sie ist immer noch bewusstlos.«
    »Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr Kalli verhaftet habt.«
    »Nein, das stimmt nicht ganz … Wir mussten einfach mit ihm reden, er hat sie nach dem Übergriff gefunden.«
    »Er ist unschuldig, da bin ich mir ganz sicher.«
    »Nanu?«
    »Kalli ist so ein lieber Junge.«
    »Kennt ihr euch gut?«
    »Wir kannten uns früher, bevor seine Eltern beschlossen haben, nach Kopenhagen zu ziehen. Ich traf ihn oft im Lebensmittelgeschäft, als ich dort gearbeitet habe. Er hatte eine sehr gewinnende Art, hat er immer noch. Er hatte damals ein bisschen für Pálmis Mutter gearbeitet, ihr rund um das Haus geholfen, um ein wenig Geld zu verdienen – er packte mit an, machte alles, was grad zu tun war, ging für sie einkaufen, besserte zu Hause alles Mögliche aus, tat sich sogar als Kammerjäger hervor, wenn es grad notwendig war, und so weiter. Ein vorbildlicher Junge, das kann ich dir sagen.«
    Das wollen wir ja mal sehen
. Ari lächelte; schwieg darüber, dass Linda am Heiligen Abend in Todesangst die Polizei angerufen hatte; verschwieg die Streitereien, die blauen Flecken …
    »Hatte Hrólfur noch irgendwelche Freunde, gute Freunde?«
    »Er sprach immer sehr warmherzig von Úlfur, sagte, er hätte Spaß daran, sich mit ihm zu streiten. Es stecke viel Kraft in ihm.« Fügte dann hinzu: »Aber er sagte auch, dass Úlfur bei der Regie bleiben und nicht sein Theaterstück zerreißen sollte.«
    »Theaterstück?«
    »Ja … er schreibt gerade ein Theaterstück, der gute Kerl.«
    Sie lächelte.
    »Jaja, mein Lieber, jetzt bin ich etwas müde geworden.« Sie nahm einen Schluck Kaffee, der mit Sicherheit nun ziemlich kalt war. »Sollen wir es für heute nicht dabei bleiben lassen? Du schaust bei Gelegenheit einfach wieder bei mir vorbei.«

29. Kapitel
    Siglufjörður,
    Samstag, 17 . Januar 2009
    Am Samstag schneite es ohne Unterlass. Der Schnee fiel auf Gärten und Straßen, es war kaum möglich, zu Fuß vorwärtszukommen, außer man grub sich seinen Weg durch die Schneewehen, die gut und gern bis ans Knie reichten.
    Ari stand zusammen mit Tómas und Hlynur vor der alten ehrwürdigen Kirche. Sie waren beide dieses Wochenende im Dienst, Ari war in Zivil gekommen, im guten Anzug, um Hrólfur seinen Respekt zu zollen, einem Mann, den er lebend nie getroffen hatte. Die alte Sandra hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, als sie seine vielfältige Persönlichkeit beschrieben hatte; er war mit seiner Kunst weit gekommen, hatte sich aber geweigert, das Ruder aus der Hand zu geben, als der Ruhm nachließ; er hatte Freunde und Bekannte, aber ebenso auch Neider; er konnte unter Umständen äußerst unangenehm sein, doch oft auch mild und freundlich, zum Beispiel was Ugla anging. Ari dachte an das Buch, das sie ihm geliehen hatte. Er musste bald einmal reinschauen – vielleicht war das ja der beste Zugang zur Gedankenwelt des verstorbenen Schriftstellers.
    Sie setzten sich auf eine freie Bank in der Kirche. Vor der Kirche hatte er Ugla getroffen, sie hatten sich angeschaut, aber nichts gesagt. Seit dem Kuss hatten sie nicht mehr miteinander geredet. Das ärgerte ihn sehr.
    Er hatte in der Nacht schlecht geschlafen, es hatte lange gedauert, bis er doch noch eingeschlafen war. Er achtete jetzt immer darauf, die Außentür abzuschließen. Keiner hatte sich wegen des Einbruchs gemeldet, Tómas hatte es lediglich als kleines Delikt abgetan; sie mussten sich auf Linda und Hrólfur konzentrieren. Ari verspürte jetzt allerdings stets ein wenig Angst, wenn er sich hinlegte, die unangenehmen Erinnerungen, als er von einem fremden Menschen im Haus aufgeweckt worden war, waren noch zu frisch. Er fühlte sich in diesem Haus nicht mehr sicher.
    Auf der Wache hatten sie seinen Besuch bei Sandra diskutiert, sie hatten verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, was es mit Hrólfurs Geheimnis auf sich haben könnte, waren aber zu keinem Resultat gekommen.
    Die Kirche füllte sich nach und nach. Viele bekannte Gesichter. Úlfur und Pálmi saßen zusammen mit den anderen Sargträgern in der ersten Reihe. Leifur saß ziemlich weit vorn, offensichtlich

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