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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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bestätigte. Niemand hat damals etwas vermutet … eine sechsundsechzigjährige Frau erleidet einen Schlaganfall und stirbt. Ein freundlicher junger Mann, der für sie gearbeitet hat, kauft sich kurz darauf einen flotten Geländewagen … Hat damals niemand zwei und zwei zusammengezählt außer deinen Eltern?«
    Karl antwortete nicht. Er schien jetzt schrecklich wütend zu sein.
    Ari setzte unverfroren fort.
    »Es ist ganz offensichtlich. Du hast die Frau getötet, um an ihr Geld zu kommen. Wie viel war es? Genug für einen dicken Wagen jedenfalls. Blieb davon nichts übrig? Du hast es geschafft, sie hinters Licht zu führen, genauso, wie du mich getäuscht hast – unschuldig vom Äußerlichen her, freundlich und höflich. Aber deine Eltern hatten dich durchschaut. Sind von hier weg und in ein anderes Land gezogen, damit es nicht ans Licht käme. Sie konntest du nicht betrügen, nicht wahr? Sie wussten, welchen Menschen du verbergen wolltest.«
    Plötzlich war Karl auf dem Sofatisch gelandet. Er hielt das Messer noch immer in der Hand.
    Ari saß auf dem Sofa, und zwischen ihnen war nur noch der niedrige Tisch.
    »Du verdammter Kerl! Du wirst das keinem einzigen Menschen erzählen … sonst …«
    »Sonst was?« Ari bereute sofort, dass ihm das heraus-gerutscht war. Er wusste genau, wem er hier gedroht hatte.
    Karl beugte sich schnell über den Tisch und packte mit festem Griff nach Aris Schulter, der lädierten Schulter – da wo der Arm im Tuch steckte.
    Der Schmerz war unbeschreiblich.
    Ari wurde vom Schrecken gepackt.
    Er war eingesperrt, wie ein Hering in der Tonne.
    Umzingelt.
    »Ich sollte dies jetzt vielleicht einfach beenden.« Karls Blick war wild. Er kam mit dem Messer immer näher an Ari heran.
    Ari stand auf, schnell und unerwartet und ballte die Faust. Der Schlag war kräftig genug, dass Karl das Gleichgewicht verlor, nach hinten stürzte, und das Messer ihm aus der Hand fiel.
    Ari sprang über den kleinen Sofatisch, ließ sein Handy dort liegen und rannte aus dem Wohnzimmer in den Flur.
    Er hörte, wie Karl auf die Füße sprang und hinter ihm herrief.
    Ari riss die Haustür auf. Er lief in den Schneesturm und die Dunkelheit hinaus, blind vom Schnee, die Füße unendlich schwer, wie im schlimmsten Albtraum.
    Er kürzte den Weg über das alte Fußballfeld im Zentrum ab; war schon seit Jahrzehnten nicht mehr über einen solchen Platz gerannt, nicht seit er ein kleiner Junge in Reykjavík gewesen war. Und damals waren es bei weitem bessere Bedingungen als hier gewesen.
    Es durfte nicht jetzt und hier zu Ende gehen. Er musste ans Ziel kommen. Karl war ihm womöglich dicht auf den Fersen und zu allem fähig. Ari war sich sicher, dass wenn er jetzt stehen bleiben würde, er sein Leben mit Stichwunden beenden, dass er in einer Blutlache verlassen im Schnee liegen würde.
    Er sprang über einen großen Schneehaufen und auf den Gehsteig, der am Alkoholladen des Dorfes vorbeiführte. Er musste schneller rennen, wollte keine Zeit versäumen, um nach hinten zu schauen. Der Gedanke daran, dass er Karl jetzt hinter Schloss und Riegel bringen würde, verlieh ihm zusätzliche Kraft.
    Er war auf dem Rathausplatz angelangt, lief quer darüber hinweg und drehte dann in Richtung der Polizeiwache ab.
    Er beschleunigte noch einmal.
    Das musste einfach klappen. Es war nicht mehr weit.
    Er musste weiter rennen.

40. Kapitel
    Siglufjörður,
    Mittwoch, 21 . Januar 2009
    Es dauerte nicht mehr lange bis zur Premiere.
    Da wollte sie die Sache endlich in Angriff nehmen.
    Sie hatte schon viel zu lange gewartet. Sie hatte sich nur deshalb beim Theaterverein freiwillig gemeldet, um dem Mann nahe sein zu können, den sie so sehr liebte.
    An manchen Tagen war sie sich sicher, dass auch er sie liebte, glaubte, seine Miene lesen zu können, seine Äußerungen genau zu verstehen; aber an anderen Tagen quälte sie sich mit lauter Zweifeln. Nun war zumindest die Zeit gekommen, um es zu versuchen.
    Sie wollte mit ihm auf der Party nach der Premiere reden.
    Ihn einladen … ja, zu einem Date. Wie die Jugendlichen.
    Sie selbst hatte ihre Jugendjahre verpasst. Sie hatte viel zu lange auf das Leben gewartet, es war an ihr vorbeigerauscht wie eine Landschaft, die man von einem Fahrzeug aus, das die Nationalstraße viel zu schnell entlangfährt, aus dem Fenster an sich vorbeirauschen sieht.
    Nína spürte, wie die Vorfreude in ihr aufkeimte.
    Sie war so gespannt.
    ***
    Als Ari zur Polizeiwache kam, geschunden an Körper und Seele, wagte er es

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