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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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den Kohlen absieht ... aber das hat er ja auch nicht sehr lange gemacht.«
    »Mindestens drei oder vier Jahre.«
    »Hätte ich doch nur gleich Siem Schlump geheiratet. Dann hätte ich sechs nette Töchter gehabt statt eines Anthrazitnaschers und eines kleinen Dreckschweins, das das Geschirr in Scherben wirft, anderer Leute Hühner bombardiert und mit Blutegeln nach Hause kommt. Sechs Töchter, stell dir doch nur einmal vor: eine zum Fensterputzen, eine zum Kochen, eine zum Waschen, eine zum Schrubben, eine zum Nähen, eine zum Flicken, eine zum ...
    »Halt, jetzt bist du schon bei sieben.«
    »Ach, das wäre mir durchaus recht gewesen, sieben Töchter statt eines Bengels, der regelmäßig in die Hose macht.«
    »Sei froh, dass du auf diesem Gebiet schon etwas Erfahrung hattest, als Onkel Siem dement wurde und ständig in die Hose machte.«
    »Oh, das war so fürchterlich. Und dennoch hätte ich es durchaus ertragen, wenn er es nur zugelassen hätte, dass ich ihn, wenn es wieder einmal passiert war, sauber mache. Aber er wollte nicht, dass ich ihn berühre. ›Fräulein‹, sagte er dann ... Ach, das war auch so schrecklich, dass er ›Sie‹ zu mir sagte und ›Fräulein‹ ... ›Fräulein, wenn Sie es noch einmal wagen, mich zu berühren.‹ Und anschließend fing er sofort an, wie ein Känguru zu boxen. Ich rief dann deinen Bruder an, der sofort in seinen Wagen sprang und in null Komma nichts vor der Tür stand. Der packte Siem dann bei den Handgelenken, und die beiden rangen eine Weile miteinander, so wie Jakob am Ufer des Jabbok mit dem Engel gerungen hat. Und dann sagte Siem plötzlich mit einem Kloß in der Kehle: ›Fräulein, ich kann diesen Burschen nicht besiegen‹, und danach ließ er sich unter Tränen sauber machen. Immer wieder habe ich zu den Hampelmännern vom Sozialdienst gesagt: ›Das geht so nicht länger‹, aber die haben immer nur geantwortet: ›Durchhalten, wir haben für ihn noch keinen Platz frei.‹ Eines Tages aber kam ein junger Bursche, dem ich ebenfalls mein Leid klagte, und der sagte: ›Frau Schlump, eigentlich darf ich Ihnen das nicht sagen, aber die einzige Möglichkeit, eine Lösung des Problems zu erzwingen, ist, Sie laufen weg.‹ Also bin ich eines Nachmittags, als Siem hier friedlich auf dem Sofa saß und döste, abgehauen. Ich bin zu meiner Schwester, habe den Pastor angerufen und gesagt: ›Herr Pastor, ich bin weggelaufen.‹ Der Pastor hat daraufhin den Arzt angerufen, der wiederum eine Pflegerin benachrichtigt hat, und am nächsten Morgen sind sie hin, um nachzusehen. Er saß immer noch genauso auf dem Sofa wie zum Zeitpunkt, als ich gegangen bin. Allerdings war seine Hose randvoll. Ich hatte bei meiner Schwester die ganze Nacht kein Auge zugemacht, und am nächsten Morgen kam jemand vom Sozialdienst vorbei und sagte: ›Frau Schlump, wie konnten Sie nur! Wissen Sie, wie wir ihn heute Morgen vorgefunden haben?‹ Dann schaute sie mich an, und das, was sie da erblickte – ich sah fürchterlich aus nach der Nacht –, jagte ihr einen derartigen Schrecken ein, dass sie nachgab und sagte: ›Ja, ich verstehe, dass es so nicht länger weitergehen kann.‹ Tja, und am nächsten Tag hatten sie für ihn einen Platz im Pflegeheim. Dort hat es ihm sehr gut gefallen, doch eines Mittags, als ich ihn besuchte, da sitzt er da und weint fürchterlich. Und auf einmal sagt er zu mir: ›Christa, warum konnte ich nicht bei dir bleiben?‹ Ich bin regelrecht im Boden versunken. Etwas Schlimmeres ist mir im ganzen Leben nicht widerfahren. Ich kam mir vor wie Judas. Aber am nächsten Tag sagte er wieder: ›Guten Tag, Fräulein, nett, dass Sie gekommen sind.‹«
    »Alzheimer, ich hoffe inständig, dass mir das erspart bleibt.«
    »Es ist längst nicht immer so schlimm. Manche werden auch wieder zu Kindern. Mit denen kann man dann Kindergartenlieder singen. Die können sie immer noch auswendig und finden es wunderschön, sie zu singen.«
    »Ringel, Ringel, Reihe, wir sind der Kinder dreie, sitzen hinterm Hollerbusch, machen alle husch, husch, husch.«
    »Genau. Und, was ist daran so schlimm? Mit ein bisschen Glück stirbt so ein bedauernswerter Mensch leise singend, mit dem letzten Atem murmelnd: ›Ja, Amen, ja, er starb fürwahr, um uns an Gott zu binden, er gab sein Blut auf Golgotha, als Preis für uns’re Sünden.‹ Tja, mit ein bisschen Glück ...

Jouri
    H ätte ich gewarnt sein müssen? Hätte ich mich nicht mit ihm anfreunden sollen? Wenn ich an meine Kindergartenzeit

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