Schneegestöber (German Edition)
geflötet, und es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte mich wieder an ihren mächtigen Busen gedrückt. So wie sie es einmal tat, als ich noch nicht vorgewarnt war und mich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Sie meinte, ich müsse unbedingt kommen, um ihren Sohn Arthur kennenzulernen. Er sei ein so hübscher, aufstrebender junger Mann. Das hat mich in meinem Entschluß, nicht hinzugehen, natürlich bestärkt. Der Sohn von Mrs. Nestlewood! Entsetzlich! Sicher ähnelt er seiner Mama.«
Mary Ann mußte über das Gesicht ihrer Freundin lächeln, in dem sich die Abscheu nur allzu deutlich widerspiegelte: »Wie auch immer Mr. Nestlewood aussieht, Kitty, du wirst ihn nicht sehen. Zumindest nicht auf dem Ball, den seine Mutter gibt.«
»Aber natürlich werde ich das!« widersprach diese resolut. »Und du wirst auch das Vergnügen haben. Denn natürlich wirst du mich begleiten. Mrs. Nestlewood hat mir erlaubt, eine Freundin mitzubringen. Wir werden also beide den Ball besuchen. Ist das nicht ein verlockender Gedanke? Die gesamte vornehme Gesellschaft der Umgebung wird sich in Mrs. Nestlewoods Haus einfinden.«
»Meinst du das im Ernst?« Mary Ann war hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und Vernunft. »Du wirst doch nicht annehmen, daß uns Mrs. Clifford erlaubt, einen Ball zu besuchen?«
Kitty machte eine ungeduldige Handbewegung: »Natürlich weiß ich, daß der Besuch von Abendveranstaltungen ohne Mrs. Cliffords Begleitung streng verboten ist. Und sicher ist diese nicht bereit, uns auf einen Ball zu begleiten. Ich glaube, sie hält die langweiligen Musikabendein unseren Assembly Rooms bereits für den Gipfel der Frivolität.« Kitty kicherte und senkte ihre Stimme: »Wir werden uns daher hüten, Mrs. Cliffords Erlaubnis einzuholen. Wenn sie nichts von unserem Unternehmen weiß, kann sie es auch nicht verbieten.«
»Du meinst, wir sollten uns heimlich aus dem Haus schleichen?« fragte Mary Ann mit großen Augen. »Und wie, bitte, willst du das Haus der Nestlewoods erreichen?« setzte sie hinzu, als Kitty nickte.
»Die liebe Tante hat versprochen, eine Kutsche zu schicken«, erklärte Kitty fröhlich. »Sicher hat sie nichts dagegen, wenn ich sie bitte, diese beim Seiteneingang warten zu lassen. Wir können uns dann nach dem Abendessen über die Hintertreppe in den Garten schleichen. Diesen Weg nehme ich immer, wenn ich unerlaubterweise ausreiten will. Wir müssen nur den Kiesweg überqueren, und schon erreichen wir die Fliederbüsche. In deren Schatten können wir uns ohne Probleme bis zu der schmalen schmiedeeisernen Pforte schleichen. Am besten, ich verschaffe mir den Schlüssel der Pforte. Dann sind wir sicher, daß niemand den geheimen Weg versperrt. Obwohl diese Tür anscheinend keiner kennt. Zumindest dürfte sie nicht kontrolliert werden.«
»Du willst wirklich, daß wir bei Nacht und Nebel aus der Schule durchbrennen?« Mary Ann war unschlüssig, ob ihre Abenteuerlust oder ihre Angst überwog. »Was ist, wenn man uns erwischt? Ist dieses Risiko nicht zu hoch für einen Abend sorgenfreien Vergnügens?«
»Wer soll uns denn erwischen? Ach, Annie, sei doch nicht so ein Angsthase. Wir werden es so geschickt anstellen, daß niemand unser Weggehen bemerkt.« Kitty tanzte durch den Raum. »Und dann werden wir die Männer wiedersehen, die wir lieben. Ich werde in Jaspers Armen liegen und im Walzertakt über das Parkett wirbeln.«
»In Jaspers Armen?« unterbrach Mary Ann, »du denkst doch nicht wirklich, daß du das bezopfte Ungeheuer auf dem Ball von Mrs. Nestlewood wiedertriffst!«
»Aber natürlich glaube ich das!« widersprach Kitty voll Überzeugung. »Der Ball ist in dieser Gegend ein herausragendes Ereignis. Sicherhat Jasper hier Freunde, die ihn mit nach Nestlewood Manor bringen. Ach, querida , glaube mir, es wird traumhaft werden! Und du hast Gelegenheit, dich persönlich vom Wohlergehen des guten Bernard zu überzeugen. Und ihm zu beweisen, daß du kein Schulmädchen mehr bist, sondern eine erwachsene Frau. Bezaubernd und aufregend und genau jenes weibliche Wesen, dem er gerne einen Heiratsantrag machen möchte. Na, sag selbst, ist das nicht ein bißchen Risiko wert?«
II.
Bernard Westbourne war ein ernster, beherrschter junger Mann mit festen Grundsätzen und strengen Moralvorstellungen. Wie dies in adeligen Familien üblich war, hatte er als dritter Sohn die Laufbahn eines Geistlichen eingeschlagen. Sein ältester Bruder Joseph würde einst das Erbe seines Vaters in Lincolnshire
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