Schneekind
mittelalterlichen Burg ein Renaissanceschloss. 1893 ist das Ganze wieder abgebrannt. Das Datum kennt hier jedes Kind“, sagte Alex und setzte den Blinker nach links. Die Durchfahrt zur historischen Altstadt war gesperrt, ich erkannte den Marktplatz und die Fußgängerzone. „Danach wurde es um 1900 im Stil des Historismus wieder aufgebaut und so steht es heute noch da“, fügte Alex hinzu und fuhr weiter.
Ich verrenkte mir den Hals, um noch mal einen Blick auf das Schloss zu werfen. „Warum hat es gebrannt?“
„Warum?“ Alex zuckte mit den Achseln. „Mama hat mir immer nur erzählt, dass der Brand drei Tage gedauert habe, weil man das Wasser in Eimern aus der Donau hochtragen musste. Es gab damals zwar schon eine Feuerwehr, doch als die aus den Städten und Dörfern der Umgebung anrückte, stellte man fest, dass die Schläuche nicht zusammenpassten, weil die Kupplungen unterschiedlich waren.“
Plötzlich lachte Alex auf. „Manchmal schmückte Mama die Geschichte ein wenig aus und erzählte, dass es die Frauen mit ihren Kochtöpfen waren, die das Schloss am Ende retteten, weil die Männer drei Tage vergeblich versucht hätten, die Schläuche zusammenzustecken.“
Ich sah ihn von der Seite an. Er schien das amüsant zu finden.
„Ich bin gleich wieder da“, sagte Alex und verschwand in eine verwinkelte Gasse. Er hatte den Wagen am Rande der historischen Altstadt im Halteverbot geparkt, weil er noch schnell etwas erledigen wollte.
Ich klappte den Schminkspiegel herunter, legte Lipgloss nach und kaschierte die Augenringe. Ich traute Alex zu, dass er noch schnell ein Weihnachtsgeschenk für mich besorgte, obwohl wir abgemacht hatten, uns nichts zu schenken. Vorsorglich hatte ich ihm etwas eingepackt; auf dem Weg in die Charité war ich an einem improvisierten Straßenstand vorbeigekommen, an dem eine alte Frau bunte Winkekatzen verkauft hatte, Glücksbringer aus Japan. Die Frau erklärte mir, dass die unterschiedlichen Farben unterschiedliche Bedeutungen hätten; Weiß stehe für Reinheit, Grün für Erfolg bei der Arbeit und Rot stärke die Liebe.
Nachdem ich mich für die rote Katze entschieden hatte, meinte die Alte, sie habe da noch etwas ganz Besonderes für mich: Sie zog ein Modell hervor, das identisch zu den anderen schien, aber doppelt so teuer war. Der Preis erkläre sich über das Geheimfach, in dem Platz für ein Aphrodisiakum sei, meinte sie und zwinkerte mir zu. Ich nickte. Ich nahm die teure Winkekatze.
Maneki Neko hießen sie in Japan.
Alex kam mit einer Tüte und leuchtenden Augen zurück; er gehörte zu den wenigen Erwachsenen, die „Kinderglück“ trugen.
„Wusstest du eigentlich“, fragte er, nachdem er eingestiegen war, „dass die schwäbischen Hohenzollern 1871 sogar das deutsche Kaiserhaus hervorgebracht haben?“
Alex strahlte, als hätte er diese Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Dann beugte er sich zu mir, legte seine Hand in meinen Schoß und küsste mich.
„Was ist?“ Er schenkte mir einen prüfenden Blick.
„Ich habe Angst“, sagte ich wahrheitsgemäß.
„Vor was genau?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist es doch die Harmonie, der ich nicht standhalten kann?“
„Harmonie?“ Alex ließ das Auto wieder an. „Da muss ich dich leider enttäuschen. Meine Familie ist weder perfekt noch harmonisch. Mein Bruder ist ein Junkie und mein Vater ein Tyrann.“ Er lachte zufrieden. „Diese rundum glücklichen Bilderbuch-Familien sind doch nur Projektionen von euch Scheidungskindern“, fuhr er im Ton von Frey fort, zu dem er mich ein paar Mal begleitet hatte.
Alexander stammte aus einer angesehenen Ärztefamilie. Bereits sein Großvater war Chefarzt und Leiter eines Forschungsinstituts gewesen. Auch sein Vater, Friedrich Marquard, war Chefarzt gewesen und hatte ein Standardwerk über Kardiotokografie verfasst, das zur Pflichtlektüre jedes Medizinstudenten gehörte. Und jeder Hebamme. Auch ich hatte es mehr als einmal in der Hand gehabt.
„Ich bin das Gespenst der Harmonie“, kasperte Alex und steuerte den Wagen einen Berg hinauf.
Ich sah eine Villa und fragte mich, warum sie knallgelb gestrichen worden war. Ich sah einen kleinen Jungen vor dem geschmackvollen Aufgang stehen und fragte mich, ob er dort wohnte. Ich sah Alex von der Seite an und fragte mich plötzlich, wer er eigentlich war.
„Wie lange hast du hier gelebt?“
„Bis zur achten Klasse. Dann bekam Vater den Posten in Hamburg, und wir zogen um.“
„War das nicht schlimm für
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