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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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fragte die im zitronengelben
Blazer und streckte vorwitzig die Hand nach der Türklinke aus. Anne schob sich
davor.
    »Jemandem ist schlecht. Somebody is
sick.«
    »Sick?«
    »Schlecht! Übel! Uääh...« Anne hielt
sich die Nase zu und gab eine pantomimische Darstellung des angeblichen
Vorfalls zum besten, untermalt von eindeutigen Lauten. Das überzeugte.
    »Can we help?« piepste die Dicke im
Geblümten.
    »No, no, thanks«, wehrte Anne ab und
fuchtelte mit den Armen. Die zwei schienen nicht traurig darüber. Unter
verlegenem Kichern und Hunderten von »thank yous« trippelten sie den Gang
hinunter.
    Anne wartete noch zwei zähe Minuten
lang, dann schlüpfte sie zurück zum Tatort. Der Anblick dort übertraf all ihre
Erwartungen. Das Opfer, wie man ihn inzwischen nur noch nennen konnte, war
splitternackt, nur seine Socken hatte er noch an, unversehrt bis auf eine dünne
Stelle am rechten großen Zeh. Anne registrierte mit einer gewissen
Erleichterung, daß er noch sämtliche Glieder besaß. Wenigstens brauchte er sich
in keiner Männerumkleide zu schämen.
    Sein Outfit jedoch sah aus, als wäre ein
Raubtier darüber hergefallen, speziell die Lederjacke hing in lamettadünnen
Streifen.
    »Das reicht jetzt, wir müssen
verschwinden«, mahnte Anne, noch immer halb entsetzt, halb fasziniert von
diesem surrealen Kunstwerk der Zerstörung.
    »Gleich. Eine Sekunde noch.« Der
Racheengel richtete sich auf und stöhnte, die Hände im Rücken, wie nach einer
Stunde Gartenarbeit.
    »Gleich kommt er zu sich! Was willst
du denn noch?« zischte Anne unwillig.
    »Das, wofür ich hergekommen bin. Warte
bitte noch einen klitzekleinen Moment draußen. Wenn er sich rührt, kriegt er
noch einen übergebraten.«
    Daran zweifelte Anne keine Sekunde.
Sie konnte nur noch den Kopf schütteln. Entweder war die so abgebrüht oder so
blöd. Oder mußte wirklich dringend. Also ging Anne hinaus und bewachte wieder
die Tür, während sie vor sich hin murmelte: »Eins weiß ich, ich werde noch in
Teufels Küche kommen wegen der.« Sie konnte zu diesem Zeitpunkt unmöglich
ahnen, wie recht sie damit hatte.
    Ein Glück, niemand steuerte mehr die
Toilette an. Sie tigerte nervös vor der Tür auf und ab. Jetzt langt’s mir, ich
gehe, entschied Anne nach einer endlosen Minute, in dem Moment kam die andere
heraus, ein lose zusammengewursteltes Bündel zerfetzter Klamotten unter dem
Arm, Annes Wasserflasche in der Hand, die schwere Goldkette am geröteten Hals.
    »So, das wär’s«, zwitscherte sie.
    Anne konnte nicht widerstehen, noch
einmal kurz durch die Tür zu spähen.
    »Was ist denn?« drängelte jetzt die
andere, »noch nie ‘nen nackten Mann gesehen? Komm, laß uns schleunigst
abhauen.«
    Doch Anne konnte sich kaum von dem
Bild da drinnen lösen. Dieses Mädchen schreckte offensichtlich vor gar nichts
zurück: Knapp über dem Bauchnabel des Geschändeten dampfte, unübersehbar und
mit Sorgfalt plaziert, ein mittelgroßer, hellbrauner Scheißhaufen.
     
    Die Paßkontrolle geriet zur puren
Nervenzerreißprobe, schon der bloße Anblick einer grünen Uniform ließ Annes
Magen rotieren. Bis zur letzten Minute drückte sie sich zwischen den
Spirituosen im Duty Free Shop herum, jeden Augenblick darauf gefaßt, vom
gnadenlosen Arm des Gesetzes ergriffen zu werden. Ihr zitterten die Knie wie
eine Nähmaschine, während sie von abstrusen Gedanken gequält wurde: Wenn der
Koloß im Klo nun zu sich kommt, die Polizei holt, mich wiedererkennt, wenn ich
dann festgenommen werde, ob sie mir wohl Handschellen anlegen? Mein Gott, Mama!
Die wird ihren soundsovielten Nervenzusammenbruch erleiden und Papa erst! Wo er
doch so gegen diese Reise war!
    Dann, endlich, der Aufruf für den Flug
München — New York, man durfte einsteigen. Geschäftsleute mit Aktenkoffern und
Laptops, Touristen mit umgehängten Videokameras, Damen, die grauenvoll nach
verschiedenen Parfumproben rochen, alles schob sich ungeduldig auf den engen
Tunnel zu. Anne, die sonst Gedrängel konsequent mied, fühlte sich ein wenig
sicherer im schützenden Menschenknäuel.
    Sie fand ihren Platz, am Fenster saß
bereits ein betagter, etwas beleibter Herr, der ununterbrochen an irgend etwas
herumnestelte, an den Gurten, am Klapptisch, an seinem Anzug, einfach überall.
    Anne ließ sich sogar zu einem
freundlichen Lächeln hinreißen, denn nun, in diesem befreienden Augenblick,
rollte die Maschine zur Landebahn. Die Anschnallzeichen blinkten auf, Motoren
jaulten, der Alte nestelte, nein, jetzt

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