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Schneekuesse

Schneekuesse

Titel: Schneekuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hoffmann
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Haut. Hatte sie immer so viele Adern gehabt?
     
    Manchmal glaubte Jill, ihr Leben hätte nach dem Schulabschluss geendet. Was war aus der umschwärmten Highschoolqueen geworden, die alle Hauptrollen in jeder Schulaufführung einheimste, weil ihre babyblauen Augen so fantastisch leuchteten und ihre blonden Haare so weich den Rücken ihrer schlanken Figur hinunterflossen? Natürlich ging sie, klischeehaft wie üblich, mit dem Captain der Footballmannschaft: Buster Clerc. Das Letzte, was sie von ihm gehört hatte, war, dass er zum Leiter der Kreditabteilung der Bank von Rosewood befördert worden war und seine Frau das dritte Kind erwartete. Er wohnte in einem hübschen kleinen Eigenheim, das mit seinem gepflegtem Vorgarten und dem weißen Gartenzaun davor aussah wie alle Häuser in Rosewood und zum Kirchenbasar, Erntedankfest und Kaffeeklatsch passte wie Milch in die Euter der zottigen Kühe der Millhouse-Farm, neben der Jills Elternhaus stand.
    Jill indessen, der einst alle eine glänzende Hollywoodkarriere voraussagten, hauste in engen möblierten Zimmern mit Klo auf dem Gang und lebte meistens aus dem Koffer. Die Städte wechselten wie ihre Liebhaber und ihre Engagements.
    Noch immer trug sie ihre blonden Haare lang, aber sie wellten sich nicht mehr so wie früher, wurden härter, der Glanz stumpfer. Um ihre strahlend babyblauen Augen herum zeichneten sich leichte Krähenfüße ab. Und sie ging nicht mehr mit Jungs, sondern mit Männern aus. Aber leider meistens mit den Falschen: Arbeitslose Musiker, Gelegenheitsjobber, Gammler – ja sogar ein Betrüger, der am Ende mit ihrem wenigen Ersparten durchbrannte − zählten zu ihrer traurigen Sammlung.
    Hollywood und der Broadway rauschten an Jill vorbei, oder besser gesagt, ignorierten sie und ihr Talent. Engagements als Barsängerin oder als Chorgirl in zweitklassigen Musicals gehörten noch zu den besseren Jobs. Ihre Karriere endete in drittklassigen Kneipen – eher hinter dem Tresen als davor auf der Bühne. Ja, was heißt „endete“? Damit etwas enden konnte, musste es irgendwann begonnen haben. Und bei Jill hatte es nie angefangen. Zu wenig Ausstrahlung, zu dünne Stimme ...
    In einer Bostoner Kneipe, in der sie als Aushilfskellnerin arbeitete, lernte sie David kennen. Er hatte ihr auf den Kopf zugesagt, dass sie dort fehl am Platz sei und eigentlich auf eine Bühne gehören würde. David managte eine erfolgreiche Boygroup, wohnte in einem schicken Appartement in New York und besaß Beziehungen zu den Großen in der Musikszene. Er glaubte an Jill, an ihr Talent. Er nahm sie mit nach Maryville, wo er eine Zweitwohnung besaß. Hier hatte sich Sounders, einer der großen New Yorker Erfolgsproduzenten, ein eigenes Imperium aufgebaut, weil er die Meeresluft besser vertrug als den dicken New Yorker Smog. Sounders würde begeistert von ihrer Stimme sein, hatte David gemeint.
    Dumme Pute – naiv und dämlich! Immer mit den Gedanken im Wolkenkuckucksheim . Das kam davon, dass man verächtlich auf brave Klassenkameraden herabgeschaut hatte, die heute alle in ihren braven Häuschen wohnten und ihren braven Jobs nachgingen. Arrogant hatte sie die Freundschaften der weniger hübschen Mädchen verschmäht. Ein Höhenflug sollte es werden. Und was war dabei herausgekommen? Eine Bauchlandung im Studio. Von wegen berühmt! Ihr Name lautete Mrs. Nobody – ja, wenn wenigstens Mrs.! Aber nicht mal das hatte sie geschafft! 
    Jill kramte in ihrer Handtasche nach Zigaretten, fand aber nur eine leere Packung. Es war ohnehin zu heiß zum Rauchen. Stattdessen saugte sie an ihrem Strohhalm und erzeugte ein unfeines schlürfendes Geräusch, woraufhin die beiden japanischen Touristinnen neben ihr sie erstaunt anblickten und ihre Kameras missbilligend hin- und herschlenkerten.
    Jill rührte unruhig mit dem Strohhalm im leeren Glas herum. Die letzten Eiswürfelreste klimperten. In ihrem Inneren brodelte es, als ob dort auch jemand alles durcheinander wirbeln würde. Langsam reifte ein Gedanke in Jill heran.
    Alles war nicht vorbei. David! David und sie waren doch so etwas wie ein Paar, wenn sie sich auch erst kurz kannten.
    David sah gut aus, schlank, durchtrainierter Körper, blonde, leicht wellige Haare, fein geschnittene Gesichtszüge mit energischen Mundwinkeln und leichten Augenfältchen, die zeigten, dass er die erste Jugend jetzt im Alter von Mitte vierzig überwunden hatte. David trug meistens lässige Klamotten, denen man die Label zwar nicht sofort ansah, aber deren Sitz

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