Schneemann
unterscheiden. Die Leitung übernimmt die Verantwortung, zeigt Demut und … “
“Ersparen Sie uns das Elementare”, unterbrach ihn der Weißhaarige. “Wen haben Sie als Sündenbock auserkoren? “
Der Kriminalchef rückte sich den Schlips zurecht. Gunnar Hagen sah, dass ihm höchst unwohl in seiner Haut war.
“Hauptkommissar Harry Hole”, verkündete der Kriminalchef. Wieder wurde es still, während der Weißhaarige seine Zigarre neu anzündete. Mehrmals war das Klicken des Feuerzeugs zu hören, gefolgt von einem Schmatzen, dann stieg wieder Rauch aus dem Schatten in die Höhe.
“Keine schlechte Idee”, meinte die helle Stimme. “Bei jedem anderen als Hole hätte ich gesagt, Sie müssen sich Ihren Sündenbock weiter oben im System suchen, weil ein Hauptkommissar als Opferlamm nicht ausreicht. Ja, vermutlich hätte ich sogar vorgeschlagen, dass Sie mal über sich selbst nachdenken sollten, Torleif. Aber Hole ist ja wirklich ein bekannter Polizist, er war sogar in dieser Talkshow dabei. Eine populäre Figur mit einem gewissen Renommee als Ermittler. Ja, das könnte reichen. Aber wird er da mitmachen?”
“Überlassen Sie das nur uns”, antwortete der Kriminalchef. “Oder was meinst du, Gunnar?”
Gunnar Hagen schluckte. Er dachte - vor allem - an seine Frau.
An alles, was sie geopfert hatte, damit er auf der Karriereleiter emporsteigen konnte. Nach ihrer Heirat hatte sie ihr eigenes Studium aufgegeben und war mit ihm dorthin gezogen, wohin ihn sein Dienst verschlagen hatte, erst im Militär und später bei der Polizei. Sie war eine intelligente Frau, ihm ebenbürtig, ja, in vielerlei Hinsicht sogar überlegen. Sie war es, an die er sich mit jeder seiner karrieremäßigen oder moralischen Fragen wandte. Und sie gab ihm immer gute Ratschläge. Trotzdem war es ihm wohl nicht gelungen, die glänzende Karriere zu machen, auf die sie beide gehofft hatten. Dabei sah es endlich besser aus. Mittlerweile war abzusehen, dass ihn seine Position als Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen weiterbringen würde, ein paar Stufen höher. Er durfte nur keine Fehler machen. Das konnte doch nicht so schwer sein.
“Oder was meinst du, Gunnar?”, wiederholte der Kriminalchef.
Nur dass er so müde war. So unendlich müde. Das hier tue ich für dich, dachte er. Du hättest es sicher auch getan, meine Liebe.
KAPITEL 31
21. Tag. Südpol
Harry und Rakel standen am Bug des Segelschiffes Fram im Museum und beobachteten eine Gruppe Japaner, die Bilder von den Tauen und Masten machten und dabei lächelnd den Guide ignorierten, der ihnen erklärte, dieses einfache Schiff habe nicht nur Fridtjof Nansen als Transportmittel gedient, bei seinem missglückten Versuch, 1893 als Erster den Nordpol zu erreichen, sondern auch noch Roald Amundsen, der Scott 1911 beim Wettlauf zum Südpol schlagen konnte.
“Ich habe meine Uhr auf deinem Nachtschränkchen vergessen”, verkündete Rakel.
“Das ist doch ein alter Trick”, entgegnete Harry. “Und bedeutet nur, dass du noch einmal wiederkommen musst.”
Sie legte ihre Hand auf seine, die auf der Reling lag, und schüttelte den Kopf. “Ich hab sie von Mathias zum Geburtstag bekommen.” Den ich vergessen habe, dachte Harry.
“Wir wollen morgen einen Ausflug machen, und er wird mich danach fragen, wenn ich sie nicht trage. Du weißt doch, dass ich nicht gut lügen kann. Könntest du … “
“Ich bring sie dir noch vor vier Uhr hoch”, versprach er. “Danke. Ich bin dann zwar schon auf der Arbeit, aber du kannst sie ja einfach in den Nistkasten legen, der neben der Tür hängt. Da … “
Sie brauchte nicht weiterzureden. Dort hatte sie auch immer den Schlüssel deponiert, wenn er so spät kam, dass sie schon im Bett lag. Harry schlug mit der Hand auf die Reling. “Laut Arve Stop war es Amundsens Fehler, gewonnen zu haben. Er meint, die wirklich guten Geschichten handeln von Verlierern.”
Rakel antwortete nicht.
“Das ist wohl eine Art Trost”, meinte Harry. “Gehen wir?” Draußen schneite es.
“Dann ist es jetzt also vorbei?”, fragte sie. “Bis zum nächsten Mal?”
Er sah sie rasch an, um sicherzugehen, dass sie vom Schneemann sprach.
“Wir wissen immer noch nicht, wo die Leichen sind”, gab er zu. “Ich war heute Morgen, bevor ich geflogen bin, bei ihr in der Zelle, aber sie sagt nichts. Starrt nur in die Luft, als wäre niemand da.” “Hast du eigentlich vorher jemandem gesagt, dass du allein nach Bergen fährst?”, fragte sie plötzlich.
Harry
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