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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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drückte er ihr so fest auf das Schlüsselbein, dass sie ihre Arme nicht mehr bewegen konnte.
    Dann wand er ihr den Revolver aus der kraftlosen Hand und presste ihr die Mündung der Waffe auf eines ihrer weit aufgerissenen Augen. Der Revolver fühlte sich leicht an, und obwohl sich der Stahl auf ihren weichen Augapfel drückte, blinzelte sie nicht. Im Gegenteil. Sie grinste. Breit. Mit einem aufgerissenen Mundwinkel und Zähnen, die der Regen vom Blut reinzuwaschen versuchte.

KAPITEL 30
    20. Tag. Sündenbock
    Knut Müller-Nilsen höchstpersönlich stand am Kai unter der Puddefjordbrücke, als Harry mit dem Cabincruiser anlegte. Er ging mit zwei Beamten und einer zu Hilfe gerufenen Psychiaterin unter Deck, wo Katrine mit Handschellen angekettet war. Sie bekam eine Beruhigungsspritze und wurde in den bereitstehenden Wagen verfrachtet.
    Müller-Nilsen dankte Harry für die diskrete Abwicklung. “Am besten versuchen wir, die Sache noch eine Weile unter Verschluss zu halten”, schlug Harry vor und blickte zum lecken Himmel empor. “Oslo will gerne die Regie, wenn wir damit an die Öffentlichkeit gehen.”
    “Klar”, nickte Müller-Nilsen.
    “Kjersti Rodsmoen”, sagte eine Stimme hinter ihnen, und sie drehten sich um. “Ich bin die Psychiaterin. “
    Die Frau, die zu Harry aufblickte, war um die vierzig, hatte helle, zerzauste Haare und trug eine große, knallrote Daunenjacke. Sie hielt eine Zigarette in der Hand und schien sich überhaupt nicht darum zu kümmern, dass der Regen nicht nur sie, sondern auch ihren Tabak durchnässte.
    “War die Festnahme sehr dramatisch?”, erkundigte sie sich. “Nein”, antwortete Harry und spürte Katrines Revolver, der ihm unter seinem Hosenbund gegen den Rücken drückte. “Sie hat sich ohne Widerstand ergeben.”
    “Was hat sie gesagt?”
    “Nichts. ” “Nichts? “
    “Kein Wort. Wie lautet Ihre Diagnose?”
    “Offensichtlich eine Psychose”, erklärte Rodsmoen ohne Zögern. “Was aber keineswegs bedeutet, dass sie geisteskrank ist. Das ist nur die Art, wie ihr Kopf mit einer schwierigen Situation umgeht. Ungefähr so, wie wenn man ohnmächtig wird, wenn die Schmerzen zu stark werden. Ich nehme an, sie war über längere Zeit einer extremen Stresssituation ausgesetzt, könnte das stimmen?”
    Harry nickte. “Wird sie wieder sprechen?”
    “Ja”, erwiderte Kjersti Rodsmoen und blickte unwillig auf die erloschene Zigarette. “Aber wann, kann ich noch nicht sagen. Im Moment braucht sie erst einmal Ruhe.”
    “Ruhe?”, schnaubte Müller-Nilsen. “Sie ist eine Serienmörderin.”
    “Und ich eine Psychiaterin”, gab Rodsmoen zurück, ließ die Zigarette fallen und ging zu einem kleinen roten Honda, der sogar in diesem Dauerregen noch staubig aussah.
    “Und, was machen Sie jetzt?”, wollte Müller-Nilsen wissen. “Ich nehme den letzten Flieger nach Hause”, verkündete Harry. “Machen Sie keinen Unsinn, Sie sehen aus wie der Tod. Das Präsidium hat eine Vereinbarung mit dem Rica Travel Hotel. Wir setzen Sie dort ab und bringen Ihnen später noch ein paar trockene Kleider. Da gibt’s auch ein Restaurant.”
    Als Harry später vor dem Spiegel im Bad des kleinen Einzelzimmers stand, dachte er an Müller-Nilsens Worte. Dass er wie der Tod aussah. Und wie nah er ihm schon gewesen war. Aber war das wirklich so? Nachdem er geduscht und in dem menschenleeren Restaurant etwas gegessen hatte, zog er sich in sein Zimmer zurück und versuchte zu schlafen. Doch es wollte ihm nicht gelingen, so dass er den Fernseher einschaltete. Überall lief nur Mist, außer auf NRK 2, da zeigten sie Memento, einen Film, den er schon einmal gesehen hatte. Die Handlung wurde aus dem Blickwinkel eines Mannes erzählt, der einen Hirnschaden und daher das Kurzzeitgedächtnis eines Goldfisches hatte. Eine Frau war getötet worden. Der Protagonist hatte sich den Namen des Täters auf einem Bild notiert, weil er wusste, dass er ihn vergessen würde. Die Frage war nur, ob er auf das vertrauen konnte, was er selbst geschrieben hatte. Harry schob seine Bettdecke weg. Die Minibar unter dem Fernseher hatte eine braune Tür und kein Schloss.
    Er hätte besser mit der letzten Maschine nach Hause fliegen sollen.
    Als er gerade aufstehen wollte, klingelte irgendwo im Zimmer sein Handy. Er steckte die Hand in die Tasche seiner nassen Hose, die über einem Stuhl vor der Heizung hing. Es war Rakel. Sie wollte wissen, wo er gerade war. Und meinte, sie müssten miteinander reden. Aber nicht in seiner

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