Schneemann
geschliffene Beil durch ein Stück Stoff unter dem erhobenen Arm des anderen drang, wie sich Jacke und Pullover öffneten, als hätte sie an einem Reißverschluss gezogen, und der Stahl einen roten Strich auf die nackte Haut zeichnete. Während der andere nach hinten taumelte und schließlich auf dem vom Hühnerblut glitschigen Boden ausrutschte, war sie auf der Rückseite des Stalls durch die Tür gestürmt, die sich zum Wald hin öffnete. Zur Dunkelheit.
Die lähmende Kälte hatte mittlerweile ihre Knie erreicht, und ihre Kleider waren bereits bis zum Bauchnabel durchnässt. Aber sie wusste, dass es nicht mehr weit bis zur Schotterstraße war. Von dort brauchte sie höchstens eine Viertelstunde bis zum nächsten Hof. An der Biegung des Baches stieß ihr linker Fuß gegen ein Hindernis, das über die Wasseroberfläche hinausragte. Es knallte, und mit einem Mal griff etwas nach ihrem Fuß, so dass sie stürzte. Sylvia Ottersen landete auf dem Bauch im Bach, schluckte Wasser, das nach Erde und faulen Blättern schmeckte. Sie zog die Arme unter sich und kniete sich hin. Als sich die erste Panik gelegt hatte und sie verstand, dass sie noch immer allein war, bemerkte sie, dass ihr linker Fuß festhing. Sie tastete mit der Hand unter Wasser und suchte nach den Baumwurzeln, in denen sich ihr Fuß verfangen hatte, doch stattdessen ertasteten ihre Hände etwas Glattes, Hartes. Metall. Ein Bügel aus Metall. Sylvias Augen suchten nach dem Gegenstand, gegen den sie gestoßen war, und sah plötzlich am Ufer etwas im Schnee liegen. Es hatte Augen, Federn und einen blassrosa Kamm. Wieder spürte sie die Panik in sich aufsteigen. Es war der abgetrennte Kopf eines Huhns. Nicht einer der Köpfe, die sie gerade abgetrennt hatte, sondern einer von denen, die Rolf verwendete. Als Köder. Nachdem sie nachgewiesen hatten, dass der Fuchs im letzten Jahr sechzehn Hühner geholt hatte, hatte die Gemeinde ihnen gestattet, in einem gewissen Umkreis um den Hof und weitab von allen Wegen eine begrenzte Anzahl von Fuchsfallen aufzustellen - sogenannte Schwanenhälse. Am besten plazierte man diese Fallen unter der Wasseroberfläche, während der Köder nach oben herausragte. Wenn der Fuchs ihn schnappte, klappte die Falle zu und brach dem Tier das Genick, so dass es sofort starb. Auf jeden Fall theoretisch. Sie fühlte mit der Hand nach. Im Jagddepot in Drammen, wo sie die Fallen gekauft hatten, waren sie darauf hingewiesen worden, die Federn seien so hart gespannt, dass die Bügel das Schienbein eines erwachsenen Mannes durchschlagen konnten. Sie spürte in ihrem ausgekühlten Fuß jedoch keine Schmerzen. Ihre Finger fanden das dünne Stahlseil, das am Schwanenhals befestigt war. Ohne das Spanneisen, das im Werkzeugschuppen auf dem Hof lag, konnte sie die Falle nicht öffnen. Überdies war jede dieser Fallen mit einem Seil an einem Baum befestigt, damit ein verletzter Fuchs sich nicht mit der kostspieligen Vorrichtung davonmachen konnte. Die Hand folgte dem Stahlseil durch das Wasser bis zum Ufer. Dort war das Metallschild mit ihrem Namen, wie es die Vorschrift verlangte.
Sie erstarrte. Hatte sie da nicht in einiger Entfernung einen Zweig brechen hören? Sie spürte, wie ihr Herz wieder zu trommeln begann, während sie ins Dunkel starrte.
Taube Finger folgten dem Seil durch den Schnee, während sie auf die Böschung des Baches kroch. Es war am Stamm einer jungen, soliden Birke befestigt. Nach einigem Suchen fand sie den Knoten unter dem Schnee, aber das Metall war zu einem harten, unbezwingbaren Klumpen zusammengefroren. Sie musste ihn aufbekommen, sie musste von hier fliehen.
Da hörte sie wieder das Knacken eines Zweiges. Dieses Mal näher.
Sie kroch um den Stamm herum, von dem Geräusch weg, und lehnte sich gegen das Holz. Versuchte sich einzureden, dass sie keine Panik zu bekommen brauchte und sich der Knoten schon lösen würde, wenn sie nur lange genug daran zog. Auch ihr Schienbein war sicher intakt, und die Geräusche, die sie gehört hatte, stammten vermutlich bloß von einem Reh. Sie probierte ein Ende des Knotens loszubekommen und spürte keinen Schmerz, als ihr ein Nagel abbrach. Aber es war zwecklos. Schließlich beugte sie sich hinunter und biss in den Stahl, dass es knirschte. Verdammt! Jetzt hörte sie ganz deutlich die leichten, ruhigen Schritte im Schnee und hielt den Atem an. Die Schritte verstummten irgendwo auf der anderen Seite des Baumes. Vielleicht war es nur Einbildung, aber sie glaubte zu hören, wie jemand tief
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