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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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?”
    “Wir alle brauchen mitunter mal eine Pause. Können wir kurz reden?”
    “Ich wollte nicht, dass er in die Schule geht”, erklärte Becker, nachdem er Jonas in die Teeküche geschickt und ihn aufgefordert hatte, dort zu warten. “All die Fragen, die Spekulationen, ich will das alles einfach nicht. Aber das verstehen Sie sicher.”
    “Tja.” Harry zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, sah Becker fragend an und steckte sie zurück, als der Professor entschieden den Kopf schüttelte. “Auf jeden Fall ist das leichter zu verstehen als das, was an der Tafel stand.”
    “Das ist Quantenphysik.” “Hört sich übel an.”
    “Die Welt der Atome ist auch übel.” “Inwiefern?”
    “Da werden die grundlegendsten physikalischen Regeln gebrochen. Wie zum Beispiel die, dass sich ein Ding nicht an zwei Orten gleichzeitig befinden kann. Niels Bohr hat mal gesagt, dass man die Quantenphysik nicht verstanden hat, wenn sie einem keinen Schrecken einjagt.”
    “Aber Sie haben sie verstanden?”
    “Nein, sind Sie verrückt? Das ist doch das reinste Chaos. Aber mir persönlich ist dieses Chaos lieber als das andere.”
    ” Welches andere?”
    Becker seufzte. “Unsere Erwachsenengeneration hat sich zum Diener und Sekretär ihrer Kinder gemacht. Das gilt auch für Birte, leider. Ständig irgendwelche Verabredungen, Geburtstage, Lieblingsbrotaufstriche und Fußballtrainings. Das ist doch zum Verrücktwerden. Gestern haben sie aus irgendeiner Arztpraxis in Bygdoy angerufen, weiI Jonas nicht zum vereinbarten Termin erschienen ist. Und heute Nachmittag sollte er zu einem Fußballtraining, von dem ich keine Ahnung habe, wo es stattfindet. Seine Generation hat irgendwie noch nie davon gehört, dass man auch einen Bus nehmen kann.”
    “Was fehlt Jonas denn?” Harry holte sein Notizbuch heraus, in das er nie schrieb, bei dessen Anblick sich seine Gegenüber erfahrungsgemäß aber mehr konzentrierten.
    “Nichts. Ich denke, das war eine von diesen Kontrolluntersuchungen beim Kinderarzt.” Becker wedelte gereizt mit der Hand. “Ich denke aber, dass Sie mit mir über etwas anderes sprechen wollen?”
    “Ja”, nickte Harry. “Ich will wissen, wo Sie gestern am Nachmittag und Abend waren.” “Was?”
    “Herr Becker, das ist reine Routine.”
    ” Steht das in irgendeinem Zusammenhang mit … mit … ” Becker wies mit einer Kopfbewegung auf die Zeitung, die zuoberst auf einem Papierstapel lag.
    “Das wissen wir nicht”, erwiderte Harry. “Beantworten Sie bitte einfach meine Frage.”
    “Sagen Sie mal, haben Sie noch alle Tassen im Schrank?” Harry sah ohne zu antworten auf die Uhr.
    Becker stöhnte laut. “Aber in Ordnung, ich will ja helfen. Gestern Abend habe ich hier gesessen und an einem Artikel über Wellenlängen in Wasserstoff gearbeitet, den ich zu publizieren hoffe.” “Ihre Kollegen können das bestätigen?”
    “Der Beitrag, den Norwegen zur weltweiten Forschung leistet, ist wohl deshalb so marginal, weil unsere Akademiker hier kaum an Selbstzufriedenheit und Faulheit zu überbieten sind. Ich war wie üblich mutterseelenallein.”
    “Und Jonas?”
    “Er hat sich selbst was zu essen gemacht und ferngesehen, bis ich gekommen bin.” “Wann war das?”
    “Kurz nach neun, glaube ich.”
    “Hm.” Harry tat so, als schreibe er etwas auf. “Sind Sie mal Birtes Sachen durchgegangen?” “Ja.”
    “Und, haben Sie etwas gefunden?”
    Filip Becker fuhr sich mit einem Finger über den Mundwinkel und schüttelte den Kopf. Harry sah ihm in die Augen. Nutzte die Stille als Brechstange, aber Becker hatte sich verschlossen. “Danke für Ihre Hilfe”, schloss Harry, steckte das Notizbuch
    in die Jackentasche und stand auf. “Ich sage Jonas dann, dass er zu Ihnen kommen kann.”
    “Warten Sie damit noch einen Moment. Bitte.”
    Harry fand die Teeküche, in der Jonas konzentriert an einem Bild malte. Seine Zungenspitze lugte zwischen den Lippen hervor. Harry stellte sich neben den Jungen und sah auf das Blatt, auf dem bis jetzt nur zwei leicht verbeulte Kreise zu erkennen waren.
    “Ein Schneemann.”
    “Ja”, sagte Jonas und blickte auf. “Woran siehst du das?” “Warum ist Mama mit dir zum Arzt gegangen, Jonas?” “Keine Ahnung.” Jonas zeichnete den Kopf des Schneemanns. ” Wie hieß denn der Arzt?”
    “Keine Ahnung.”
    “Und wo war das?”
    “Das darf ich keinem sagen. Nicht mal Papa.” Jonas beugte sich über den Zettel und zeichnete Haare auf den Kopf des Schneemanns. Lange

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