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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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telefonieren.
    Er kam zurück mit einem Zettel in der Hand. »Waldburg, Kirchplatz 12«, sagte er.
    Das war dort, wo Sophie Bachmann sich verbrannt hatte. Bremer wurde kalt.

46
    Frankfurt – Klein-Roda
    K aren trat aufs Gaspedal. Sie fuhr viel zu schnell. Auf diesem Streckenabschnitt der Autobahn nach Norden gab es eine Geschwindigkeitsbegrenzung und regelmäßige Radarkontrollen. Und für die Frisur war es auch nicht gerade günstig, bei 160 Stundenkilometern offen zu fahren. Aber die Geschwindigkeit entschädigte sie für die Langsamkeit, mit der bei ihr der Groschen gefallen war. Und es half, die Geschehnisse zu rekonstruieren.
    Sie war in der letzten Woche, wenn auch widerstrebend, mit Edith auf den Friedhof gegangen. Beerdigungen waren ganz und gar nicht ihre Sache, sie erinnerten einen an die Endlichkeit, man sah zu viele Menschen weinen, und meistens regnete es. Und der Friedhof, auf dem Thomas Regler unter die Erde gebracht wurde, mitten in der Provinz, nicht weit von der JVA Strang entfernt, erschien ihr als Inbegriff der Trostlosigkeit. Warum wollte Krista Regler ihn nicht an einem netteren Ort begraben lassen?
    Und was stellen wir uns da so vor? fragte sie sich, während sie einen vorlauten BMW-Fahrer abhängte. Vielleicht den Frankfurter Hauptfriedhof, eine Grabstelle neben der von Arthur Schopenhauer? Oder den Friedhof von Klein-Roda, unweit vom Grab des Bürgermeisters? Die würden sich bedanken.
    Als sie das letzte Mal auf einer Beerdigung war, bestattete man einen ihrer liebsten Freunde, einen, mit dem sie hatte alt werden wollen. Sie hatte nicht weinen wollen wie so viele der anderen in diesem schier endlosen Trauerzug. Aber als sie die Kiste sah am Grunde der Grube und dachte, da liegt er drin, einer, der in keine Schublade paßte, geschweige denn in einen Sarg, hatte sie geheult wie all die anderen Weiber auch.
    Sie schickte ihm einen Gruß nach oben. Nein, Friedhöfe gehörten nicht zu ihren Hobbies.
    Edith hatte das Grab zunächst nicht gefunden – nicht, weil die Anlage so groß gewesen wäre, sondern weil sie so einförmig war. Und die Beerdigung eines Untersuchungshäftlings schien nicht gerade die Massen zu bewegen, jedenfalls sah man keine Trauergäste. »Wir hätten da vorne rechts gehen müssen.« Edith vollführte gewagte Verrenkungen vor einem Schild mit Lageplan.
    Typisch Frau, dachte Karen und bedrängte den älteren Herrn im Kleinwagen, bis er endlich die linke Spur verließ. Im Urwald würden wir immer im Kreis laufen.
    Edith hatte sie von der Seite angesehen. »Ich weiß, du versprichst dir nichts davon. Aber ich sage dir – ich hab’ da so ein Gefühl…« Karen hatte spöttisch zurückgeguckt. »Seit wann hast du Gefühle?«
    Aus den Augenwinkeln sah sie langgestreckte Rosenfelder. Sie dachte kurz, daß die Gegend viel zu schön war, um besinnungslos hindurchzubrettern. Dann gab sie wieder Gas.
    Sie war zur Beerdigung nur mitgegangen, weil… weil die Geschichte der Reglers sie noch immer beschäftigte. Es war ja durchaus denkbar, daß Thomas Regler sich für seine Frau zum Opfer gebracht hatte. Und so etwas mochten die Knastbrüder gespürt haben – die meisten Gewaltverbrecher reagieren allergisch auf Menschen mit Opferattitüde.
    Einerseits. Andererseits: Sie wollte mit Krista Regler sprechen, dem nachspüren, was sie empfand nach dem Tod ihres Mannes. Und gucken, ob es da vielleicht doch noch etwas gab, das die Wiederaufnahme der Ermittlungen rechtfertigte.
    »Da hinten!« Edith hatte mit ausgestrecktem Arm auf einen Platz inmitten einer sauber angelegten Gräberreihe gezeigt. Ein Mann, der wie ein Friedhofsbediensteter aussah, stand davor, daneben ein Mann mit Glatze und etwas albern wirkender Designerbrille. Vom Eingang her strebte eine ältere Frau auf die Gruppe zu. Sie war ihr aufgefallen, weil sie aussah, als ob sie aus einem anderen Land und aus einer anderen Zeit stammte. Sie trug einen langen, wallenden Rock aus dunkelrotem Samt, Schnürstiefel, eine Strickjacke im Trachtenlook und auf dem Kopf eine Art Turban, unter dem sich pechschwarzes Haar kräuselte. Zu schwarz, um echt zu sein.
    »Wer ist das?« hatte sie Edith zugeflüstert. »Keine Ahnung«, sagte die nach einem flüchtigen Blick auf die Frau.
    Die vielleicht Sechzigjährige blieb am Grab stehen. Der Mann mit der auffälligen Brille streckte ihr die Hand hin, was sie ignorierte. Die Frau öffnete ihre Handtasche, einen mit bunten Wollfäden und kleinen blitzenden Spiegeln bestickten Beutel, nahm etwas

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