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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Abschaum. Bis ins letzte Glied.
    Ausrottungsphantasien.
    Sie hatte endlich begriffen und versucht, ihn zu beruhigen. Hatte auf ihn eingeredet, als er nicht mehr brüllte oder schrie, sondern weinte und sich wie ein Kind alles von der Seele stammelte. Irgendwann war er wieder aus dem Zimmer gelaufen. Er war nicht zurückgekehrt.
    Krista Regler fror, während ihr zugleich heiß wurde vor Scham. So jemandem konnte man nichts ausreden, nichts erklären. Der hütete seine Rache schon seit Jahren. Dem konnte man nicht sagen: Du rächst dich an den Falschen.
    Wer die Katastrophe hätte verhindern können, war sie selbst. Wenn du nicht… kreiste es in ihr und übertönte alle anderen Gedanken. Wenn sie Thomas nicht allein gelassen hätte, beleidigt und gekränkt, statt an ihn zu glauben. Wenn sie nicht geschwiegen hätte, bloß weil sie meinte, wenigstens das noch für ihn tun zu müssen. Wenn – er nicht alles auf sich genommen hätte, das Gefängnis, den Tod. Ohne ein Wort des Vorwurfs. Wie seine Bestimmung.
    »Du bist das Geschenk, das ich nicht verdient habe«, hörte sie ihn flüstern. Es war ein Nachmittag im Herbst gewesen, sie hatten sich einmal nicht verfehlt und sich geliebt in den wenigen Stunden, die sich auftaten. Und danach, bevor er ging, hatte er noch etwas gesagt, was sie erst heute verstand. »Das Schicksal muß mich kurzfristig vergessen haben. Wer weiß, wann es sich wieder erinnert.«
    Er mußte während der Verhandlung geglaubt haben, der Zeitpunkt sei gekommen, um die Rechnung zu bezahlen.
    Sie merkte, daß ihre Knie naß waren von den Tränen, die plötzlich wieder fließen konnten. Sie weinte um sich und um Thomas und um ihren Entführer, der längst aus dem Alter heraus und doch noch immer ein unglückliches Kind war. Wie unglücklich Kinder sein konnten. Und wie tödlich.
    Die Panik fuhr ihr wieder in die Glieder. Was war, wenn er nie wiederkäme? Sie sah hoch zur Decke. Wenn es nicht durchs Fenster oder die Tür ging, mußte sie durchs Dach. Zaghaft stellte sie sich auf die Couch und stemmte sich mit Händen und Schultern gegen die Bretterbohlen. Das Holz gab keinen Millimeter nach. Entmutigt rollte sie sich wieder zusammen auf der verhaßten Couch, um zu warten. Auf irgend etwas.
    Wie damals nachts im Schnee. Nur – heute wollte sie nicht sterben. Sie stand wieder auf, mit schmerzenden Muskeln, ging die paar Schritte hinüber zur Tür, rüttelte an der Klinke und drückte sie herunter. Die Tür öffnete sich. Sie hielt die Luft an, als sie hinausging. Der Vorraum war noch kälter als das Zimmer, noch schmuddeliger, noch düsterer.
    Und dann erstarrte sie.

44
    Klein-Roda
    N ie würde Bremer den Anblick vergessen. Wie sie durch die Kirchentür hinausgeströmt kamen, das Hochzeitspaar und seine Gäste, und wie vor den Kopf gestoßen wieder zurückwichen vor den Flammen und vor der Gestalt, die sich vor ihren Augen brennend auf dem Boden wälzte – mit einem Aufschrei, der wie ein Stöhnen klang. Nur wenige taten das einzig mögliche, wie Gottfried und er, und warfen ihre Jacken über das brennende Etwas, das vielleicht noch lebte, das vielleicht überleben würde, wenn es gelang, die Flammen zu ersticken. Es schien die Arme nach ihnen auszustrecken.
    Und nie würde er das Gesicht von Kathrinchen vergessen, die zuerst aus der Tür getreten war, als glückliche Braut. Wolle hatte sie blitzschnell in die Arme genommen, ihr Gesicht an seiner Schulter, sie in die Kirche zurückgedrängt. Aber sie hatte alles gesehen. Der zweite Krankenwagen war für sie. Das Kind kam nur eine Woche zu früh. Aber es war unter keinem freundlichen Stern geboren.
    Der Feuertod bei der Hochzeit war in und um Klein-Roda das Thema des Tages gewesen. Alle erwarteten von Paul und Gottfried farbige Schilderungen des Dramas in allen Details. Und niemand sagte es offen, jedenfalls nicht in seiner Gegenwart, aber er wußte, daß sie es dachten: Sie dachten, Krista Regler habe sich vor die Kirche von Waldburg gesetzt und sich angezündet. War sie nicht verschwunden, seit Tagen schon? Hatte sie nicht ihren Mann auf dem Gewissen, alles in allem? Die Ehebrecherin?
    Die Bigotterie und Sensationslust seiner Nachbarn machten Bremer unendlich müde. Und nein, sagte er sich immer wieder. Krista tut so etwas nicht. Krista ist kein Selbstmordtyp. Und wenn, dann täte sie es ohne Aufsehen.
    Aber, antwortete der Zweifel. Aber.
    Bremer versuchte, solche Gedanken wegzuschieben. Es regnete. Auch die Katzen blieben im Haus, kuschelten sich zu

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