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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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mit dem größten Vergnügen die besten Flaschen mit ihm verkostet, doch nun war sie vorsichtiger geworden. Zu viele seltsame Dinge waren geschehen, da wollte sie lieber einen klaren Kopf behalten. Und außerdem musste sie an das Baby denken, selbst in dieser eigenartigen Welt.
    Doch sie ließ sich nichts anmerken. Solange Jake bei ihr war, gab sie sich allergrößte Mühe, möglichst unbeschwert zu wirken und die Dinge nicht so schwarz zu sehen. Doch kaum war er dann mal für ein paar Minuten fort, wie beispielsweise, um noch eine Flasche Wein zu holen, sprang sie auf, ging zur Glastür des Hotels, spähte angestrengt in den Nebel hinaus und hielt Ausschau nach verräterischen Bewegungen.
    Und dann sah sie tatsächlich etwas. Zwar nicht in Gestalt mehrerer grauer Schatten. Der Dunst waberte und wehte, und da sah sie sie. Die Männer. Wobei sie nun zu sechst waren. Alle standen genau da, wo sie beim letzten Mal gewesen waren. Alle starrten unverwandt auf das Hotel und rauchten, rauchten, rauchten.
    »Komm schnell«, sagte sie zu Jake, als er mit einer Flasche Bordeaux zurückkam. »Aber pass auf, dass sie dich nicht sehen.«
    Er trat hinter sie, umarmte sie und schaute ihr über die Schulter. Sie wies mit dem Finger auf den vagen Umriss der sechs Männer, die allesamt dastanden wie Krähen oder geduldige Aasgeier, warteten und das Hotel beobachteten.
    »Was ist denn da?«
    »Sechs an der Zahl. Jetzt sind sie zu sechst.«
    »Wo?«
    »Du musst sie doch sehen, Jake! Du musst doch die Umrisse da im Nebel sehen!«
    »Ich sehe überhaupt nichts. Wo schaust du denn hin?«
    »Da! Und da! Und da!«
    Angestrengt blinzelte Jake in den Nebel. Dann schüttelte er kaum merklich den Kopf und runzelte die Stirn.
    »Jake, sag mir bitte, dass du da draußen sechs graue Gestalten siehst! Direkt da drüben!«
    Jake drehte sie um und sah sie an. »Ich glaube, du halluzinierst.«
    »Schau doch hin! Schau doch hin! Das ist keine Halluzination! Die stehen da, rauchen und starren uns an! Du hast doch die Zigarettenstummel gesehen – da kommen sie her!«
    »Ich habe die Kippen gesehen, mein Liebes, aber ich sehe da draußen nichts und niemanden. Da ist nichts. Schau mal, ich kann gerne rausgehen und nachsehen, wenn du dich dann wohler fühlst.«
    »Wage es ja nicht rauszugehen!«
    »Okay, okay, ganz ruhig. Dann bleiben wir eben hier.«
    Jake führte sie zurück zur Feuerstelle, wobei sie sich immer wieder umdrehte und über die Schulter in den Nebel spähte – und zu den grauen Gestalten, die sie darin sah. Er setzte sich zu ihr, nahm ihre kalten Hände in seine und schaute sie an, suchte nach äußerlichen Anzeichen für inneren Aufruhr. Dann meinte er: »Sind es immer noch zwei blaue Linien?«
    »Was?«
    Er nickte.
    »Du weißt es?«
    »Natürlich weiß ich es.«
    Worauf sie tief aufseufzte und die Arme um ihren Leib schlang.
    »Hast du wirklich gedacht«, sagte er, »du könntest mir das verheimlichen? Hier, wo es sonst nichts gibt außer dir und mir?« Er lächelte.
    »Du bist mir nicht böse?«
    »Nein, nie. Ich hab bloß darauf gewartet, dass du es mir selbst sagst, dass du unser Baby im Bauch trägst.« Und er sah sie an, mit Augen voller Zorn und Mitgefühl und verzweifelter Liebe. Er nahm ihre Hand und küsste sie. Es dauerte eine Weile, bis einer wieder etwas sagte.
    »Woher hast du es gewusst?«
    »Ich glaube, du hast allein in unserem Zimmer eine ganze Palette dieser Tests versteckt.«
    »Stimmt. Vielleicht wollte ich ja, dass du sie findest. Ich teste mehrmals am Tag. Manchmal sogar stündlich. Ich will, dass sich was ändert. Und ich will nicht, dass sich was ändert. Hättest du dich gefreut, wenn es vorher passiert wäre? Vor all dem hier?«
    »Gemessen daran, wie es mir jetzt damit geht? Ja, ich hätte mich gefreut. Ich wäre außer mir gewesen vor Freude.«
    »Und jetzt?«
    »Ich habe dich die ganze Zeit sehr genau beobachtet, in dem Wissen, dass du mit unserem Baby schwanger bist. Und ich muss dir ganz ehrlich sagen, ich mache mir ernsthaft Sorgen.«
    »Um das Baby?«
    »Ja. Und um seine Mutter. Du frierst, ich nicht. Du bekommst Hunger, ich nicht. Du hast vor allem Angst, ich nicht.«
    Unwillkürlich warf sie einen Blick zu den Glastüren. »Willst du mir damit sagen, du hast keine Angst? Du hast keine Angst vor dem, was da draußen ist?«
    Er schüttelte den Kopf und verneinte.
    »Das kann doch nicht wahr sein«, meinte sie. »Ich habe doch gesehen, wie du die Axt mitgenommen hast, als du rausgegangen bist.«
    »Das war

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