Schneetreiben
zu sprechen. Vermutlich hat er Ihnen ein Brechmittel verabreicht, damit Sie den Termin nicht wahrnehmen konnten und dann Ihre Schwester hierherkam. Dann lief alles wie geplant. Keller tauchte auf, und Ihre Schwester reagierte verängstigt auf ihn. Ihr Mann hat geahnt, dass wir über kurz oder lang auf Keller stoßen und ihn vernehmen würden.«
»Hat meine Schwester auch Midopan genommen?«, fragte Carla, ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
Braun nickte. »Nachdem wir von Keller erfahren hatten, wie Ihre Schwester reagiert hat, haben wir versucht, uns die Intensität einer möglichen psychotischen Panikreaktion zu erklären und herausgefunden, dass der Nanogrammgehalt des Wirkstoffs ihres Medikaments im Blut nicht mit der üblicherweise eingenommenen Dosis übereinstimmte. Wir haben deshalb zunächst die Vermutung gehabt, Ihre Schwester hätte eigenmächtig ihr Medikament herunterdosiert und sei dann nach dem Erlebnis mit Keller so paralysiert gewesen, dass sie freiwillig sprang. Wir waren eigentlich drauf und dran, die Ermittlungen einzustellen, da diese Variante im Zusammenhang mit Kellers Aussage plausibelschien. Aber dann sind Sie auf dem Präsidium aufgetaucht.« Carla tat Braun leid, aber es schien ihm so, als würde seine Sachlichkeit ihr Zutrauen geben und sie von ihrem Vorhaben abbringen können. »Wir vermuten, dass Ihr Mann die Wechselwirkungen des Medikaments Midopan mit dem Psychopharmakon Ihrer Schwester erprobt hat. Das ist auch der Grund, dass Hannas Arzt sich oft nicht erklären konnte, weshalb es in einzelnen Phasen so drastische Rückschläge gegeben hatte, obwohl alle zuvor dachten, sie sei auf einem guten Weg. Vermutlich hat Ihr Mann immer wieder den Genesungsprozess gestört und gehofft, Ihre Schwester würde sich irgendwann umbringen.«
»Das ist Blödsinn«, widersprach Teubert, aber Braun fuhr unbeirrt fort: »Sie haben Carlas Zwillingsschwester durch eigenmächtige Medikation für Angstsituationen besonders sensibilisiert. Vielleicht haben Sie gehofft, sie würde sich umbringen, wenn Keller auftaucht. Wahrscheinlich haben Sie nachgeholfen, wie Sie es auch heute bei Ihrer Frau tun wollten.«
Teubert lachte verächtlich auf: »Sie haben gar nichts gegen mich in der Hand.«
»Bitte, Frau Frombach, machen Sie keinen Fehler. Entscheiden Sie sich für das Leben«, bat Braun inständig.
»Was ist das Leben wert, wenn man alles verloren hat?«, schluchzte Carla. »Ich habe niemanden mehr.«
»Sie dürfen nicht aufgeben«, sagte Braun. »Woher wollen Sie außerdem wissen, dass Johannes Hansen tot ist? Wenn Sie sich heute etwas antun, war sein Einsatz für Sie völlig umsonst.«
Braun streckte seine Hand nach ihr aus und hoffte, sie würde sie ergreifen.
48
»Ich habe noch immer solche Kopfschmerzen«, stöhnte Bendt, als Anna an das Sofa herantrat, auf dem er lag. Er deutete mit nach Mitleid heischender Miene auf das große Pflaster, das seinen Hinterkopf zierte.
»Ich hätte auch Kopfschmerzen, wenn ich mittags um zwölf schon zwei James-Bond-Filme angeguckt hätte«, gab Anna trocken zurück und stellte ein Tablett mit geschnittenen Früchten und Mineralwasser auf dem Wohnzimmertisch ab. Bendt richtete sich auf, als Anna ihm sein Glas reichte.
Sie setzte sich neben ihn.
»Braun hat angerufen. Ich soll dir ausrichten, dass du dich gefälligst erst umbringen lassen sollst, wenn er in Pension ist. Er hätte in seinem Alter keine Lust mehr, sich noch einmal auf einen anderen Volltrottel einstellen zu müssen.«
»Wie nett.« Bendt schmunzelte. »Ich schätze, das ist seine Art, mir zu sagen, dass er mich mag.«
»Und dass er noch immer sauer auf dich ist, weil du dich in eine so brenzlige Situation begeben hast. Ich komme vor allem nicht darüber hinweg, dass du dieses Jagdgewehr nicht an dich genommen hast. Du kannst von Glück sagen, dass Teubert dich nur niedergeschlagen und nicht erschossen hat.«
Bendt stöhnte auf. »Wie oft muss ich mir das eigentlich noch anhören? Ich habe dir doch gesagt, wie schnell das alles ging. In dem Moment habe ich überhaupt nicht damitgerechnet, dass mir irgendwas passieren könnte. Als Carla Frombach sagte, dass Hansen die Waffe weglegen soll, war für mich klar, dass …«
»Ja, ja«, unterbrach Anna ihn. »Das habe ich mir jetzt auch schon tausendmal angehört. Ich bin jedenfalls heilfroh, dass du lebst.«
»Meinst du, dass man Teubert den Mord an Hanna Frombach nachweisen kann?«
Anna schüttelte den Kopf. »Wie denn? Es gibt nicht
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