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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Geländewagens, ein Handy am Ohr, und rauchte mit hastigen Zügen eine Zigarette. Er blieb stehen. Als sie ihn erkannte, richtete sie sich auf, steckte das Telefon in die Manteltasche und schnippte die Kippe weg. Er zögerte einen Augenblick, bevor er die kopfsteingepflasterte Straße überquerte, den kleinen Koffer mit seinen Habseligkeiten in der linken Hand, und vor ihr stehen blieb.
    »Hallo, Tobi«, sagte sie und lächelte nervös. Zehn Jahre waren eine lange Zeit; genauso lange hatten sie sich nicht gesehen, denn er hatte nicht gewollt, dass sie ihn besuchte.
    »Hallo, Nadja«, erwiderte er. Eigenartig, sie bei diesem fremden Namen zu nennen. In Wirklichkeit sah sie besser aus als im Fernsehen. Jünger. Sie standen sich gegenüber, blickten einander an, zögerten. Ein kühler Wind trieb das trockene Herbstlaub raschelnd über das Pflaster. Die Sonne hatte sich hinter dichten grauen Wolken versteckt. Es war kalt.
    »Schön, dass du wieder draußen bist.« Sie schlang ihre Arme um seine Mitte und küsste seine Wange. »Ich freue mich. Echt.«
    »Ich freue mich auch.« In dem Augenblick, in dem er diese Floskel aussprach, fragte er sich, ob das stimmte. Freude fühlte sich anders an als dieses Gefühl der Fremdheit, der Unsicherheit. Sie ließ ihn los, weil er keine Anstalten machte, sie ebenfalls zu umarmen. Früher einmal war sie, die Nachbarstochter, seine beste Freundin gewesen, ihre Existenz in seinem Leben eine Selbstverständlichkeit. Nadja war die Schwester, die er nie gehabt hatte. Aber jetzt hatte sich alles verändert, nicht nur ihr Name. Aus der burschikosen Nathalie, die sich für ihre Sommersprossen, für die Zahnspange und ihren Busen geschämt hatte, war Nadja von Bredow geworden, eine berühmte und gefragte Schauspielerin. Sie hatte ihren ehrgeizigen Traum verwirklicht, hatte das Dorf, aus dem sie beide stammten, weit hinter sich gelassen und war auf der Leiter des gesellschaftlichen Ansehens bis ganz nach oben geklettert. Er selbst konnte seinen Fuß nicht einmal mehr auf die unterste Stufe dieser Leiter stellen. Seit heute war er ein Exknacki, der zwar seine Strafe abgesessen hatte, den aber die Gesellschaft nicht gerade mit offenen Armen erwartete.
    »Dein Vater hatte für heute nicht freibekommen.« Unvermittelt machte sie einen Schritt von ihm weg, mied dabei seinen Blick, als ob sich seine Befangenheit auf sie übertragen hätte. »Deshalb hole ich dich ab.«
    »Das ist nett von dir.« Tobias schob seinen Koffer auf den Rücksitz ihres Autos und setzte sich auf den Beifahrersitz. Das helle Leder hatte noch keinen einzigen Kratzer, das Wageninnere roch neu.
    »Wow«, sagte er ehrlich beeindruckt und warf einen Blick auf das Cockpit, das dem eines Flugzeugs ähnelte. »Tolles Auto.«
    Nadja lächelte kurz, gurtete sich an und drückte auf einen Knopf, ohne den Schlüssel in die Zündung gesteckt zu haben. Sofort sprang der Motor mit einem dezenten Surren an. Gekonnt manövrierte sie den wuchtigen Wagen aus der Parklücke. Tobias' Blick streifte ein paar mächtige Kastanien, die dicht an der Gefängnismauer standen. Ihr Anblick von seinem Zellenfenster aus war während der vergangenen zehn Jahre sein Kontakt zur Außenwelt gewesen. Die Bäume im Wechsel der Jahreszeiten waren für ihn zum einzig realen Bezug nach draußen geworden, während der Rest der Welt in einem diffusen Nebel hinter den Gefängnismauern verschwunden war. Und nun musste er, der verurteilte Mädchenmörder, nach Verbüßung seiner Strafe zurück in diesen Nebel. Ob er wollte oder nicht.
    »Wo soll ich dich hinfahren? Zu mir?«, fragte Nadja, als sie den Wagen auf die Autobahn lenkte. Sie hatte ihm in ihren letzten Briefen mehrfach angeboten, zunächst bei ihr einzuziehen – ihre Wohnung in Frankfurt sei groß genug. Die Aussicht, nicht nach Altenhain zurückkehren und der Vergangenheit ins Auge blicken zu müssen, war verlockend, dennoch lehnte er ab.
    »Später vielleicht«, sagte er deshalb. »Ich will erst mal nach Hause.«
    Kriminaloberkommissarin Pia Kirchhoff stand im strömenden Regen auf dem Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes bei Eschborn. Sie hatte ihr blondes Haar zu zwei kurzen Zöpfchen geflochten, eine Basecap aufgesetzt und sah nun, die Hände tief in den Taschen ihrer Daunenjacke vergraben, mit ausdrucksloser Miene ihren Kollegen von der Spurensicherung zu, die eine Zeltplane über das Loch zu ihren Füßen spannten. Bei den Abrissarbeiten eines der baufälligen Flugzeughangars hatte ein

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