Schneewittchens Tod
KAPITEL 1
Völlig nackt, Arme und Beine gespreizt, lag der alte Mann festgeschnallt auf dem weiß gekachelten, blutverschmierten Tisch. Sein schütteres Haar war sorgfältig zurückgekämmt und betonte sein ausgemergeltes Gesicht mit den kantigen Zügen. Sein überdehnter Mund ließ einen tadellosen Zahnersatz sehen.
Seine Augen - blaue klebrige Kugeln - ruhten neben ihm in einer rostfreien Metallschale.
Leonard »Chib« Moreno zog seine extra dünnen, befleckten Latexhandschuhe aus, rollte sie zu einer Kugel zusammen und warf sie in den Mülleimer, der von Wattetupfern, durchtränkt mit Sekreten, überquoll. Er streifte ein frisches Paar Handschuhe über und griff nach seinem glänzenden Chirurgenbesteck, das an der Wand befestigt war, gleich neben dem Labortisch mit den Phiolen, den versiegelten Töpfen, den Injektionsnadeln und Röhrchen. Er wählte ein Skalpell aus, wog es in seiner braunen Hand und trällerte dabei His Jelly Roll is Nice and Hot.
Ohne sein Trällern zu unterbrechen, griff er nach dem schlaffen Penis zwischen den behaarten bleichen Schenkeln des Greises und trennte ihn sauber ab. Er legte den blutigen Fleischfetzen in die dafür vorgesehene Emailleschale.
Das Geräusch der Klimaanlange erinnerte an das Summen eines Fliegenschwarms. Es musste schön draußen sein. Schön und heiß. Eine leichte Brise in den Palmen. Schaumkronen auf dem Meer, Luftmatratzen. Martinis on the rocks. Körper, die sich im Sand räkelten. Hier aber war es kalt, eine Kälte, die nach Formalin und Blut roch. Er stellte die Klimaanlage auf »Max.« und schlüpfte in seine ärmellose Goretex-Weste.
Dann füllte er einen Löffel mit heißem Teer und beugte sich erneut über den nackten Körper.
»Du wirst sehen, das wird perfekt!«, murmelte er und führte den Löffel in eines der Nasenlöcher, die noch rot waren von dem Haken, dessen er sich kurz zuvor bedient hatte.
Der Teer zischte beim Kontakt mit der Haut. Ganz vorsichtig neigte Chib den Löffel, damit nichts danebenging. Er wiederholte den Vorgang mehrere Male, gänzlich konzentriert auf seine Arbeit, wobei er jetzt On the Killing Floor summte. Der Teer musste die ganze Schädelhöhle ausfüllen.
Das Klingeln des Telefons ließ ihn zwar nicht zusammenzucken, aber er stieß einen kurzen Seufzer der Verärgerung aus, legte den dampfenden Löffel auf die behaarte Brust, um sein Handy aus der Tasche seines weißen Kittels zu angeln.
»Hi! Chib! Come va?«
»Ich bin beschäftigt, Greg.«
»Zwei Puppen, zuckersüß, zwanzig Uhr, im Navigator. Ich zähle auf dich.«
»Ich glaube nicht, dass ich kann. Ich muss hier was fertig machen.«
»He! Ich spreche nicht von Leichen, ich spreche von quicklebendigen Frauen.«
»Es geht im Leben nicht nur ums Bumsen, Greg.«
»Verdammt! Bei mir brauchst du dich nicht wie ein pädophiler Priester aufzuführen, ja? Gut, dann also bis später!«
Greg hatte schon aufgelegt. »Warum treffe ich mich immer wieder mit ihm?«, fragte sich Chib zum tausendsten Mal, während er die dampfenden Nasenlöcher mit Watte zustopfte. Diesem Typen, bei dem alle Gespräche nur um ein Wort kreisten - vögeln - und dessen Übersetzung in sechsunddreißig Sprachen. Ein geiler Bock, der ihm das Leben versaute, unter dem Vorwand, dass sie zusammen die Schulbank gedrückt hatten zu einer Zeit, als Leonard-le-Batard, der Bastard, heilfroh gewesen war, dass Gregory-le-Nanti, der Reiche, ihn gegen all die kräftigen Kerle der so genannten Motorrad-Gang verteidigt hatte - Idioten auf lächerlichen Mopeds, tätowiert mit Abziehbildern, die aber für ein schmächtiges Kerlchen mit Brille wie ihn Furcht erregend gewesen waren.
Muss Dankbarkeit ewig dauern, Herr? Würde er sich all diese Obszönitäten bis zum Grab anhören müssen? Nicht, dass er etwas gegen Sex und seine Freuden hätte, aber bei Greg war es kein Sex mehr, die Frauen waren beliebige »SchwanzPassformen«, und das ödete ihn auf die Dauer an.
Er sah auf seine Armbanduhr, eine Kopie der 1938er Pilot's Watch von Omega, eine kleine Extravaganz, die er sich unlängst geleistet hatte. 18 Uhr 4 Minuten 18 Sekunden. Er musste noch das Hirn in das Becken mit den Aromastoffen geben und alles sauber machen.
Was sollte er anziehen?
Eine Dreiviertelstunde später summte die elektronische Klingelanlage. Er steuerte auf die in die Wand eingelassene Apparatur zu und schaltete den Videobildschirm ein. Ein Frauengesicht erschien, um die siebzig, perfekt geliftet, große braune sorgfältig geschminkte
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