Schneewittchens Tod
Augen, leicht kollagen-unterspritzte Lippen, kastanienbraunes, zu einem lockeren Knoten gebundenes Haar, eine dicke Schicht Creme-Make-up auf dem Hals, unter der man trotzdem die Altersflecken und die Falten von übermäßigem Sonnenbaden sah. Der Hals kann nur schwer lügen, dachte er bei sich, während er sie über die Sprechanlage begrüßte.
»Ich komme. Nehmen Sie schon Platz.«
Er tätschelte den Fuß der Leiche, der mit einem Etikett versehen war »Antoine di Fazio, 1914-2002«, zog seinen Kittel aus, stopfte ihn in die kleine Waschmaschine, erfrischte sich mit einem feuchten Waschlappen, bevor er in ein weißes Popelinhemd und eine schwarze Alpakahose schlüpfte und nach oben ging.
Gräfin di Fazio saß in dem kleinen High-Tech-Wartezimmer auf der Kante der schwarzen Ledercouch unter dem grau-blauen de Stael. Sie trug einen roten bequemen Samthosenanzug von Gucci. Zwei Goldarmreifen von Benin klirrten an ihrem linken Handgelenk. Das rechte schmückte lediglich eine Tiffany First Lady, stellte Chib fest.
Er verneigte sich kurz vor der Gräfin, die sich am Wasserspender ein Glas Wasser geholt hatte und es mit kleinen Schlucken leerte.
»Wie geht es ihm?«, fragte sie.
Eine reichlich idiotische Frage, da es sich um einen Toten handelte, aber er zeigte sich liebenswürdig: »So gut es unter diesen Umständen möglich ist, Madame.«
»Sind Sie bald fertig?«
»In etwa achtundvierzig Stunden.«
Die Gräfin seufzte. Chib reichte ihr ein Kleenex-Tüchlein, mit dem sie sich vorsichtig die Augen abtupfte.
»Mein lieber armer Antoine!«
Ein alter Fiesling, der mit seinem Bentley ein Stoppschild überfahren und ein kleines Mädchen getötet hatte, bevor er selbst gegen einen Strommasten gerast war.
»Ich werde ihn im blauen Salon aufstellen, Lady Choupette zu seinen Füßen«, fuhr sie schniefend fort.
Chib hatte Lady Choupette im vorigen Herbst ausgestopft -ein Bulldoggenweibchen, so bissig wie sein Herrchen.
»Fürchten Sie nicht … dass Ihre Besucher …«, fragte er und warf einen verstohlenen Blick auf seine Uhr.
»Unsere Vorfahren ruhen in den Katakomben des Kapuzinerklosters in Palermo«, gab sie hochnäsig zurück. »Es ist bei uns üblich, die sterbliche Hülle unserer geliebten Verstorbenen auszustellen.«
So weit Chib informiert war, bestand die einzige bekannte Gewohnheit in der Familie der Gräfin aus durchtriebener Prostitution, dank derer sie sich den Grafen di Fazio geangelt hatte, einen steinreichen sizilianischen Reeder, zwanzig Jahre älter als sie. Doch er bewunderte es, dass die Gräfin die Familientradition ihres Gemahls fortführte. Schließlich passte der Sarkophag von Antoine di Fazio ganz gut in den mit viktorianischem Nippes und Porzellanpuppen voll gestopften blauen Salon.
»Ich verreise für etwa zehn Tage«, fuhr sie fort. »Die Hochzeit unseres Neffen in New York. Ich lasse ihn dann bei meiner Rückkehr abholen.«
»Überhaupt kein Problem.«
Sie zog ein gefaltetes Stück Papier aus ihrer ChanelHandtasche und legte es auf das Plexiglastischchen. Daraufhin verabschiedete sie sich und entschwebte würdig in die Frische der Dämmerung.
Chib entfaltete den Scheck. Es war der vereinbarte Betrag. Ein hübsches Sümmchen. Seine Dienste hatten ihren Preis. Es gab fast niemanden mehr, der den Beruf nach den neuesten Methoden wie auch nach überlieferten auszuüben wusste.
Er schenkte sich ein Glas Wasser ein, trank die Hälfte und goss den Rest über seinen rasierten Schädel. Keine Zeit zum Duschen. Er knöpfte sein Hemd zu, band sich eine schwarze Strickkrawatte um, schlüpfte in ein schwarzes Alpakajackett, das zu seiner Hose passte, und setzte seinen kleinen schwarzen Filzhut auf. Er wollte schon gehen, als er merkte, dass er noch immer seine Plastiküberzieher über seinen schwarzen Mokassins trug. Er streifte sie ab, warf sie in einen Korb neben dem Schreibtisch aus Holz und Chrom, wo er über seine Ausgaben Buch führte, und trat in seinen Taxidermisten-Raum mit Schaufenster zur Straße.
Es war ein Zimmer mit verblichenen Tapeten, voll gestellt mit Füchsen, Wieseln, Hirschen und Wildschweinen, dazu, an den Wänden befestigt, mehrere Thun- und Schwertfische. Auf der Werkbank thronte ein kleiner Hai, gefangen von der Rule Britannia, einer Yacht, die in einem benachbarten Hafen ankerte.
Draußen schimmerte das Meer im letzten rötlichen Schein der Abenddämmerung. Seine ouabet, sein Reiner Platz, wie die Ägypter die Einrichtungen zur Bestattungspflege nannten, befand
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