Schneller als der Tod
Bridgeport.«
Jetzt stützt er gerade den Kopf in die Hand, und seine Hamsterbacken hängen herunter wie die Zipfel eines Tischtuchs. Er hat die Augen geschlossen.
Die anderen Leute im Raum sind: eine Assistenzärztin, die als Gegenstück zu Akfal und mir für die Station am anderen Ende des Gebäudes zuständig ist (Zhing Zhing mit Namen, eine junge Chinesin, die manchmal so niedergedrückt ist, dass man etwas zur Entspannung ihrer Gliedmaßen tun muss), unsere insgesamt vier Medizinstudenten und unsere Oberassistenzärztin. Wir haben den Aufenthaltsraum für uns allein, da wir die Horde bademanteltragender Patienten, die ferngesehen hatten in der Hoffnung, außerhalb ihrer Klinikbetten zu sterben, rausgeworfen haben. Sorry, Leute. Es gibt ja immer noch den Gang.
Aber verdammte Hacke, was bin ich müde.
Einer der Studenten - nicht mal von meinen, sondern von Zhing Zhing - liest eine unglaublich lange Liste von obskuren Leberfunktions-Testergebnissen vor. Die Tests hätten gar nicht angeordnet werden sollen. Der Patient hat Herzversagen. Und da die Werte alle normal sind, sollte man annehmen, der Student würde uns wenigstens ersparen, sie hören zu müssen.
Und doch schreit niemand.
Ich habe eine Wachhalluzination, dass Moos sich auf der einen Wand ausbreitet, dann merke ich, dass mich wieder der Schlaf überkommt. Also versuche ich es mit dem Einaugentrick - das Auge, das die Oberassi sehen kann, bleibt offen und hoffe, dass damit wenigstens die eine Hirnhälfte eine Pause bekommt. Mein Kopf knallt wieder gegen die Wand. Ich muss eingenickt sein.
Jetzt ist es sieben Uhr vierundvierzig.
»Langweilen wir Sie, Dr. Brown?«, fragt die Oberassistenzärztin.
Die Oberassistenzärztin hat ihre Facharztausbildung beendet, aber beschlossen, noch ein weiteres Jahr im ManCat zu bleiben, ein Ausdruck des, glaube ich, immer noch so genannten »Stockholm-Syndroms«. Sie trägt ein ziemlich heißes Kostüm unter dem weißen Kittel, macht aber wie üblich ein Gesicht, als wollte sie sagen: »Was fällt Ihnen ein, mir auf die Schuhe zu kacken?«
»Nicht mehr als sonst«, sage ich, während ich mir das Gesicht wachreibe. Ich sehe, dass auf der einen Wand wirklich Moos wächst, mein Schwimmblick bauscht es lediglich auf.
»Vielleicht möchten Sie uns von Mr Villanova erzählen.«
»Gern. Was möchten Sie denn wissen?«, sage ich und rätsele, wer Mr Villanova ist. Einen Moment lang befürchte ich, es könnte noch ein Spitzname von Squillante sein.
»Anscheinend haben Sie sofortige CTs von seinem Brustraum und seinem Hintern bestellt.«
»Ach so, Arschmann. Die seh ich mir am besten mal an.«
»Später.«
Ich setze mich wieder hin. Wische mir mit links über die Nase, um zu kaschieren, wie ich mit rechts nach meinem Pieper greife. »Der Mann hat Schmerzen u. G. in der rechten Hinterbacke und unterm Schlüsselbein trotz PCA«,*
(Als ob Sie interessiert, was das bedeutet.)
sage ich. »Sieht auch nach Fieber aus.«
»Seine Vitalwerte waren normal.«
»Ja, hab ich gesehen.«
Mein rechter Daumen drückt so schnell den Testknopf an meinem Pieper, dass ich es selbst nicht mitbekommen hätte. Als der herrliche Alarm ertönt, werfe ich einen Blick auf die Anzeige und springe auf.
»Mist. Ich muss los.«
»Bitte bleiben Sie bis zum Ende der Besprechung«, sagt die Oberassi.
»Geht nicht. Patient«, sage ich. Was weniger eine Lüge als eine freie Assoziation ist.
Zu meinen Medizinstudenten sage ich: »Einer von Ihnen schlägt bitte die statistischen Daten zur Gastrektomie bei Siegelzellenkrebs nach. Ich komme nachher wieder zu Ihnen.«
Und schon bin ich erlöst.
Da ich zu langsam denke, um dem Squillante-Problem beizukommen, zerdrücke ich mit den Fingerspitzen eine Moxfan und schniefe sie aus der Mulde, die man am Ende des Handgelenks bilden kann, indem man den Daumen so weit wie möglich von der Hand wegstreckt.
Meine Nasenlöcher brennen wie verrückt, und einen Moment lang kann ich nichts sehen. Was mir die Augen wieder öffnet, sind die schneller werdenden Sprungfedergeräusche, die mein Magen macht.
Ich brauche was zu essen. Martin-Whiting Aldomed bietet wahrscheinlich irgendwo im Krankenhaus ein Gratisfrühstück an, aber dafür habe ich unmöglich Zeit.
In dem Stapel benutzter Tabletts neben dem Service-Lift finde ich eine ungeöffnete Plastikschale Cornflakes und einen halbwegs sauberen Löffel. Milch ist zwar keine da, aber dafür eine halbvolle 120-Milliliter-Flasche Magnesiummilch, und die ist, man muss es
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