Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Informationen, die die Grundlage von Intuitionen bilden, »im Gedächtnis gespeichert«? Bestimmte Typen von Intuitionen werden sehr schnell erworben. Von unseren Ahnen haben wir die Fähigkeit geerbt, sehr schnell zu lernen, wann wir uns fürchten müssen. Tatsächlich ist oftmals schon eine einzige Erfahrung ausreichend, um eine langfristige Abneigung und Furcht zu erzeugen. Viele von uns haben eine tief sitzende Erinnerung an ein einziges fragwürdiges Gericht, das uns noch immer instinktiv davon abhält, in ein Restaurant zurückzukehren. Wir alle erleben eine starke Anspannung, wenn wir uns einer Stelle nähern, an der sich etwas Unangenehmes ereignet hat, auch wenn es keinen Grund zur Annahme gibt, dass es sich wiederholen wird. Ein solcher Ort ist für mich die Zufahrt zum Flughafen von San Francisco, wo mir vor Jahren ein aggressiver Fahrer von der Fernstraße nachfuhr, das Fenster runterkurbelte und mich wüst beschimpfte. Ich habe nie erfahren, was seinen Hass auslöste, aber jedes Mal, wenn ich auf dem Weg zum Flughafen an dieser Stelle vorbeikomme, erinnere ich mich an seine Stimme.
Die Erinnerung an den Vorfall am Flughafen ist mir bewusst, und sie erklärt vollständig das Gefühl, das damit verbunden ist. Doch bei zahlreichen Gelegenheiten mögen wir uns an einem bestimmten Ort unwohl fühlen, oder wenn jemand einen bestimmten Ausdruck verwendet, ohne dass wir eine bewusste Erinnerung an das auslösende Ereignis haben. Im Nachhinein nennen wir dieses mulmige Gefühl Intuition, wenn eine negative Erfahrung darauf folgt. Zwischen dieser Art des emotionalen Lernens und dem, was in den berühmten Konditionierungsexperimenten von Pawlow geschah, in denen Hunde lernten, den Klang einer Glocke als Signal für die bevorstehende Fütterung zu
erkennen, besteht ein enger Zusammenhang. Was Pawlows Hunde lernten, lässt sich als antrainierte Hoffnung beschreiben. Ängste werden sogar noch leichter erlernt.
Furcht kann auch – sogar recht leicht – durch Wörter statt durch Erfahrungen gelernt werden. Der Feuerwehrmann mit dem »sechsten Sinn« für Gefahren hatte zweifellos zahlreiche Gelegenheiten, bei denen er über die Arten von Bränden, mit denen er persönlich noch nicht konfrontiert war, diskutieren und nachdenken und im Geist wiederholen konnte, welche Hinweisreize auftreten können und wie er reagieren sollte. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, nimmt die Anspannung eines jungen Zugführers ohne Kampferfahrung stark zu, wenn er Soldaten durch eine enger werdende Schlucht führt, weil ihm beigebracht wurde, dass ein solches Gelände günstig für einen Hinterhalt ist. Um zu lernen, bedarf es keiner häufigen Wiederholungen.
Das emotionale Lernen mag rasch erfolgen, aber die Aneignung von Expertise erfordert im Allgemeinen viel Zeit. Der Erwerb von Expertise bei komplexen Aufgaben wie hochkarätigem Schach, professionellem Basketball oder Brandbekämpfung ist mühsam und langwierig, weil sie auf einem Gebiet nicht aus einer einzelnen Fähigkeit besteht, sondern eher aus einer großen Gesamtheit von Minikompetenzen. Schach ist ein gutes Beispiel. Ein Profi kann eine komplexe Stellung auf einen Blick durchschauen, aber es dauert Jahre, diese Fähigkeit zu entwickeln. Studien über Schachmeister haben gezeigt, dass mindestens 10 000 Stunden konzentrierter Übung (dazu muss man etwa sechs Jahre lang täglich fünf Stunden Schach spielen) erforderlich sind, das höchste Leistungsniveau zu erreichen. 7 Während dieser Stunden intensiver Konzentration wird ein Schachspieler mit Tausenden von Konfigurationen vertraut, die jeweils aus einer Anordnung zusammenhängender Figuren bestehen, welche sich gegenseitig bedrohen oder verteidigen.
Das Erlernen von Schach auf höchstem Niveau lässt sich mit dem Erlernen der Lesefähigkeit vergleichen. Ein Erstklässler muss sich sehr anstrengen, um einzelne Buchstaben zu erkennen und sie zu Silben und Wörtern zusammenzustellen, dagegen nimmt ein guter erwachsener Leser ganze Sätze wahr. Ein sachkundiger Leser hat auch die Fähigkeit erworben, vertraute Elemente zu einem neuen Muster zusammenzufügen, und er kann ein Wort, das er noch nie zuvor gesehen hat, schnell »wiedererkennen« und richtig aussprechen. Beim Schach spielen wiederkehrende Muster interagierender Figuren die Rolle von Buchstaben, und eine Schachposition ist ein langes Wort oder ein Satz.
Ein versierter Leser, der die erste Strophe von Lewis Carrolls Gedicht »Jabberwocky« zum ersten Mal sieht,
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