Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
kann sie mit perfekter Rhythmisierung und Intonation vorlesen und dabei auch noch Spaß haben:
’Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe:
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.
Verdaustig war’s und glasse Wieben
rotterten gorkicht im Gemank;
Gar elump war der Pluckerwank,
Und die gabben Schweisel frieben.
(Dt. von Christian Enzensberger)
Es ist mühsamer und langwieriger, im Schach Expertise zu erwerben, als lesen zu lernen, weil das »Alphabet« des Schachs viel mehr Buchstaben enthält und weil die »Wörter« aus vielen Buchstaben bestehen. Nach Tausenden von Stunden Übung können Schachmeister dann allerdings eine Spielsituation auf einen Blick erfassen. Die wenigen Züge, die ihnen einfallen, sind fast immer stark und manchmal kreativ. Sie können mit einem »Wort« zurechtkommen, dem sie noch nie begegnet sind, und sie können eine neue Interpretation für ein vertrautes Wort finden.
Die geeignete Umgebung für Expertise
Klein und ich stellten sehr schnell fest, dass wir uns über die Natur intuitiver Fähigkeiten und ihren Erwerb einig waren. Aber in unserer Schlüsselfrage mussten wir uns noch verständigen: Wann kann man einem selbstbewusst auftretenden Experten, der behauptet, eine Intuition zu haben, vertrauen?
Wir gelangten schließlich zu der Überzeugung, dass unsere Meinungsverschiedenheit zum Teil auf die Tatsache zurückzuführen war, dass wir an verschiedene Experten dachten. Klein hatte viel Zeit mit Einsatzleitern der Feuerwehr, Krankenpflegern und anderen Fachkräften verbracht, die über echte Expertise verfügten. Ich hatte mehr Zeit damit verbracht, über Klinikärzte, Stockpicker und Politikwissenschaftler nachzudenken, die nicht tragfähige
langfristige Vorhersagen zu machen versuchten. Da war es nicht weiter verwunderlich, dass seine Standardeinstellung Vertrauen und Respekt war, während die meine Skepsis war. Er war eher bereit, Experten zu glauben, die behaupteten, eine intuitive Lösung gefunden zu haben, weil wahre Experten, wie er mir sagte, die Grenzen ihres Wissens kennen. Ich behauptete, dass es viele Pseudoexperten gebe, die nicht ahnen, dass sie nicht wissen, was sie tun (die Illusion der Prognosegültigkeit), und dass grundsätzlich der Grad der subjektiven Überzeugung für gewöhnlich zu hoch und oftmals ohne informativen Gehalt ist.
Weiter vorn führte ich den Grad des subjektiven Überzeugtseins auf zwei miteinander verbundene Eindrücke zurück: kognitive Leichtigkeit und Kohärenz. Wir sind überzeugt, wenn uns die Geschichte, die wir uns selbst erzählen, mühelos einfällt, widerspruchsfrei daherkommt und kein konkurrierendes Szenario vorhanden ist. Aber Leichtigkeit und Kohärenz sind keine Garantie dafür, dass eine für wahr gehaltene Überzeugung tatsächlich wahr ist. Die Assoziationsmaschine ist so eingestellt, dass sie Zweifel unterdrückt und Ideen und Informationen, die mit der aktuell dominanten Geschichte vereinbar sind, ins Gedächtnis ruft. Ein Intellekt, der der Regel folgt, nur die aktuell verfügbaren Informationen zu berücksichtigen, wird viel zu leicht einen hohen Grad des Überzeugtseins erreichen, indem er alles ausblendet, was er nicht weiß. Es ist daher nicht überraschend, dass viele von uns allzu sehr von der Richtigkeit unbegründeter Intuitionen überzeugt sind. Klein und ich verständigten uns schließlich auf ein wichtiges Prinzip: Das Vertrauen, das Menschen in ihre Intuitionen haben, ist kein verlässlicher Maßstab für deren Richtigkeit. Anders gesagt, trauen Sie niemandem – auch nicht sich selbst –, der Ihnen sagt, dass Sie seinem Urteil vertrauen sollten.
Wenn man der subjektiven Überzeugung nicht trauen kann, wie können wir dann die wahrscheinliche Gültigkeit einer intuitiven Aussage beurteilen? Wann spiegelt sich in Urteilen wahre Expertise wider? Wann manifestiert sich in ihnen eine »Illusion der Gültigkeit«? Die Antwort darauf lautet, dass zwei grundlegende Voraussetzungen für den Erwerb von Expertise erfüllt sein müssen:
– Eine Umgebung, die hinreichend regelmäßig ist, um vorhersagbar zu sein.
– Eine Gelegenheit, diese Regelmäßigkeiten durch langjährige Übung zu erlernen.
Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind, sind Intuitionen vermutlich sachgerecht. Schach ist das Extrembeispiel einer regulären Umgebung, aber Bridge und Poker weisen ebenfalls robuste statistische Regelmäßigkeiten auf, die den Erwerb von Sachverstand ermöglichen.
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