Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Reihenfolge durchzugehen und jedes Merkmal auf einer Fünf-Punkte-Skala zu beurteilen, ehe sie zum nächsten weitergingen. Und das war es. Ich sagte den Interviewern, sie sollten sich nicht mit der Frage befassen, wie gut sich der Rekrut in die militärische Organisation einfügen würde. Sie sollten lediglich sachdienliche Tatsachen über seine Vergangenheit eruieren und diese Informationen dazu
benutzen, dem Rekruten in jeder Persönlichkeitsdimension einen bestimmten Punktwert zuzuschreiben. »Ihre Aufgabe ist es, zuverlässige Messwerte bereitzustellen«, sagte ich ihnen. »Überlassen Sie die Frage der prognostischen Gültigkeit mir«, womit ich die Formel meinte, die ich konzipieren wollte, um ihre jeweiligen Ratings zu kombinieren.
Die Interviewer hätten beinahe gemeutert. Diesen intelligenten jungen Leuten missfiel es, dass ihnen jemand, der kaum älter war als sie selbst, befahl, ihre Intuition auszuschalten und sich ganz und gar auf langweilige Sachfragen zu konzentrieren. Eine von ihnen beklagte: »Sie machen uns zu Robotern!« Und so machte ich ihnen ein Zugeständnis. »Führen Sie das Interview genauso durch, wie ich Sie angewiesen habe«, sagte ich ihnen, »und wenn Sie das getan haben, erfüllen Sie sich Ihren Wunsch: Schließen Sie die Augen, stellen Sie sich den Rekruten als Soldaten vor und schreiben Sie ihm auf einer Skala von eins bis fünf einen Punktwert zu.«
Mehrere Hundert Interviews wurden nach dieser neuen Methode geführt, und einige Monate später sammelten wir die Leistungsbewertungen der Soldaten von den befehlshabenden Offizieren der Einheiten, denen sie zugeteilt worden waren. Die Ergebnisse machten uns glücklich. Wie Meehls Buch nahegelegt hatte, stellte das neue Interviewverfahren eine erhebliche Verbesserung gegenüber dem alten dar. Die Summe unserer sechs Ratings sagte die Leistung der Soldaten viel genauer vorher als die globalen Beurteilungen der vorhergehenden Befragungsmethode, wenn auch keineswegs vollkommen. Wir hatten uns von »völlig nutzlos« auf »mittelmäßig nützlich« verbessert.
Die große Überraschung für mich bestand darin, dass das intuitive Urteil, zu dem die Interviewer in der »Schließ-die-Augen-Übung« gelangten, ebenfalls eine recht gute Prognose lieferte, die tatsächlich genauso gut war wie die Summe der sechs spezifischen Ratings. Aus diesem Befund lernte ich eine Lektion, die ich nie mehr vergessen habe: Intuition liefert einen Mehrwert, selbst in dem zu Recht verspotteten Auswahlinterview, aber erst nach einer disziplinierten Erhebung objektiver Informationen und der disziplinierten Bewertung gesonderter Merkmale. Ich stellte eine Formel auf, die der Beurteilung »mit geschlossenen Augen« das gleiche Gewicht gab wie der Summe der sechs Merkmalsratings. Aus dieser Episode lernte ich auch noch die allgemeine Lektion, nicht einfach dem intuitiven Urteil – dem eigenen oder dem anderer – zu vertrauen, aber es auch nicht als belanglos abzutun.
Etwa 45 Jahre später, nachdem ich den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hatte, war ich kurzzeitig eine kleine Berühmtheit in Israel. Bei
einem meiner Besuche hatte jemand die Idee, mich durch meinen ehemaligen Armeestützpunkt zu führen, in dem noch immer die Einheit untergebracht war, die für das Auswahlverfahren der Rekruten zuständig war. Ich wurde der befehlshabenden Offizierin der Psychologischen Einheit vorgestellt, und sie schilderte ihr gegenwärtiges Interviewverfahren, das sich nicht stark von dem System unterschied, das ich entwickelt hatte. Wie sich herausstellte, deuteten zahlreiche Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Interviews noch immer gute Dienste leisteten. Als die Offizierin ans Ende ihrer Beschreibung der Interviewführung gelangte, sagte sie noch: »Und dann sagen wir ihnen: ›Schließen Sie die Augen.‹«
Probieren Sie es selbst aus
Die Botschaft dieses Kapitels lässt sich leicht auch auf andere Aufgaben als Personalentscheidungen einer Armee anwenden. Die Umsetzung von Interviewverfahren im Geist von Meehl und Dawes verlangt vergleichsweise wenig Anstrengung, aber sehr viel Disziplin. Angenommen, Sie müssen einen Vertreter für Ihre Firma einstellen. Wenn Sie wirklich die bestmögliche Person für den Job bekommen wollen, sollten Sie folgendermaßen vorgehen. Wählen Sie, erstens, einige Persönlichkeitsmerkmale aus, die Voraussetzungen für den Erfolg in dieser Position sind (fachliche Befähigung, einnehmende Persönlichkeit,
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