Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
»Gewinner«, der gegenwärtig mehr wert ist, als Sie dafür bezahlt haben, oder als einen »Verlierer« identifizieren. Unter den Aktien, die Ihnen gehören, ist Blueberry Tiles ein Gewinner; wenn Sie Ihren Bestand heute verkaufen, machen Sie einen Gewinn von 5000 Dollar. Außerdem halten Sie Aktien von Tiffany Motors, die gegenwärtig weniger wert sind, als Sie dafür bezahlt haben. Der Kurs beider Aktien ist in den letzten beiden Wochen stabil geblieben. Welche werden Sie eher verkaufen?
Eine plausible Formulierung dieses Entscheidungsproblems lautet folgendermaßen: »Ich könnte das Blueberry-Tiles-Konto schließen und einen Erfolg in meiner Bilanz als Anleger verbuchen. Wahlweise könnte ich auch das Tiffany-Motors-Konto schließen und einen Misserfolg in meiner Anlegerbilanz verbuchen. Was sollte ich eher tun?« Wenn das Problem als eine Wahl zwischen Freude und Ärger formuliert wird, werden Sie sicherlich die Blueberry Tiles verkaufen und sich über Ihre hervorragenden Investment-Fähigkeiten freuen. Wie zu erwarten, hat die finanzwissenschaftliche Forschung eine massive Präferenz für den Verkauf von Gewinnern statt von Verlierern dokumentiert – eine Verzerrung, die eine nicht unmittelbar verständliche Bezeichnung erhalten hat: der Dispositionseffekt. 2
Der Dispositionseffekt ist ein Fall von engem Framing. Der Anleger hat ein Konto für jede Aktie, die er gekauft hat, eingerichtet, und er will jedes Konto
mit einem Gewinn abschließen. Ein rationaler Agent hätte einen umfassenden Überblick über den Wertpapierbestand und würde die Aktie verkaufen, die in Zukunft mit der geringsten Wahrscheinlichkeit eine gute Wertentwicklung verzeichnen wird, ohne zu überlegen, ob es sich um einen Gewinner oder einen Verlierer handelt. Amos erzählte mir von einem Gespräch mit einem Finanzberater, der ihn um eine vollständige Liste der Aktien in seinem Depot einschließlich ihrer jeweiligen Kaufkurse bat. Der Berater zog ein erstauntes Gesicht, als Amos vorsichtig fragte: »Sollte das nicht egal sein?« Offensichtlich war er von jeher der Auffassung gewesen, dass der Zustand des mentalen Kontos ein relevanter Gesichtspunkt sei.
Amos’ Vermutung über die Ansichten des Finanzberaters war vermutlich richtig, aber er hatte unrecht, den Kaufpreis als irrelevant abzutun. Der Kaufpreis spielt eine Rolle und sollte auch von Econs berücksichtigt werden. Der Dispositionseffekt ist eine kostspielige Verzerrung, weil die Frage, ob man Gewinner oder Verlierer verkaufen soll, ein eindeutige Antwort hat, und es ist nicht so, dass es egal wäre. Wenn Ihnen mehr an Ihrem Vermögen als an Ihren unmittelbaren Gefühlen gelegen ist, sollten Sie den Verlierer Tiffany Motors verkaufen und an den gewinnenden Blueberry Tiles festhalten. Zumindest in den Vereinigten Staaten liefern Steuern einen starken Anreiz: Die Realisierung von Verlusten vermindert Ihre Steuerlast, während Ihnen die Veräußerung von Gewinnern zusätzliche Steuern aufbürdet. Diese grundlegende Tatsache über Finanztransaktionen ist allen amerikanischen Anlegern bekannt, und sie bestimmt die Entscheidungen, die sie während eines Monats im Jahr treffen – Anleger stoßen im Dezember, wenn sie an ihre Steuern denken, mehr Verlierer ab. Der Steuervorteil ist natürlich das ganze Jahr über verfügbar, aber die übrigen elf Monate des Jahres setzt sich die mentale Buchhaltung gegenüber dem gesunden Menschenverstand in finanziellen Angelegenheiten durch. Ein weiteres Argument gegen den Verkauf von Gewinnern ist die gut dokumentierte Marktanomalie, wonach Aktien, deren Kurs in jüngster Vergangenheit gestiegen ist, wahrscheinlich zumindest noch eine kurze Weile weitere Kursgewinne verzeichnen werden. Der Nettoeffekt ist groß: Der erwartete Mehrertrag nach Steuern des Verkaufs von Tiffany-Aktien im Vergleich zu Blueberry-Aktien beläuft sich auf 3,4 Prozent über das nächste Jahr. Ein mentales Konto mit einem Gewinn abzuschließen, erzeugt ein Lustgefühl, aber es ist ein Lustgefühl, für das man bezahlt. Ein Econ würde diesen Fehler nie machen, und erfahrene Anleger, die ihr System 2 benutzen, sind dafür weniger anfällig als Neulinge. 3
Ein rationaler Entscheider interessiert sich nur für die zukünftigen Konsequenzen gegenwärtiger Investments. Zurückliegende Fehler zu rechtfertigen ist für den Econ nicht von Belang. Die Entscheidung, zusätzliche Finanzmittel in ein Verlustgeschäft zu investieren, wenn bessere Anlagemöglichkeiten zur Verfügung
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