Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
Vom Netzwerk:
Perzentilwert auf der Skala der Lesefähigkeits-Frühreife?
Was ist Julies Perzentilwert auf der Notenskala?
    Mittlerweile sollten Sie problemlos erkannt haben, dass all diese Operationen Merkmale von System 1 sind. Ich habe sie hier als eine geordnete Folge von Schritten aufgelistet, aber natürlich funktioniert die Ausbreitung der Aktivierung im assoziativen Gedächtnis nicht in dieser Weise. Sie sollten sich einen Prozess der Aktivierungsausbreitung vorstellen, der zunächst durch die Informationen und die Frage ausgelöst wurde, auf sich selbst zurückwirkt und sich schließlich für die kohärenteste mögliche Lösung entscheidet.
     
    Amos und ich baten einmal die Probanden eines Experiments, Beschreibungen von acht College-Erstsemestern zu beurteilen, die angeblich von einem Studienberater stammten, der Erstsemester befragte. Jede Beschreibung bestand aus fünf Adjektiven, wie in dem folgenden Beispiel:
    intelligent, selbstbewusst, belesen, fleißig, wissbegierig

    Wir baten einige Probanden, zwei Fragen zu beantworten:
    Wie stark beeindruckt Sie diese Beschreibung im Hinblick auf die Studienleistungen?
    Wie viele Beschreibungen von Erstsemestern (in Prozent) würden Sie Ihrer Einschätzung nach stärker beeindrucken?
    Die Fragen verlangen von Ihnen, die Anhaltspunkte zu bewerten, indem Sie sie mit der Norm vergleichen, die Sie von Studenteneinschätzungen durch Studienberater haben. Schon die bloße Existenz einer solchen Norm ist bemerkenswert. Auch wenn Sie bestimmt nicht wissen, wie Sie diese erworben haben, haben Sie ein recht genaues Gespür dafür, wie viel Begeisterung in der Beschreibung mitschwingt: Der Studienberater ist der Ansicht, dass es sich um einen guten, aber keinen außergewöhnlich guten Studenten handelt. Er hätte stärkere Adjektive verwenden können als »intelligent« (»brillant«, »kreativ«), »belesen« (»gelehrt«, »hochgebildet«, »außerordentlich bewandert«) und »fleißig« (»leidenschaftlich«, »perfektionistisch«). Das Urteil: Sehr wahrscheinlich im Bereich der obersten 15 Prozent, aber eher nicht unter den obersten 3 Prozent. Bei solchen Urteilen gibt es einen eindrucksvollen Konsens, zumindest innerhalb einer Kultur.
    Den übrigen Teilnehmern unseres Experiments stellten wir andere Fragen:
    Was ist Ihre Schätzung für den Notendurchschnitt, den der Student erzielen wird?
    Wie hoch ist der Prozentsatz der Erstsemester, die einen besseren Notendurchschnitt erreichen?
    Sie müssen genau hinsehen, um den subtilen Unterschied zwischen den beiden Fragenpaaren zu erkennen. Der Unterschied sollte offensichtlich sein, ist es aber nicht. Anders als die ersten Fragen, bei denen Sie nur die Informationen beurteilen mussten, ist das zweite Paar mit sehr viel mehr Ungewissheit behaftet. Die Frage bezieht sich auf die tatsächliche Leistung am Ende des ersten Studienjahres. Was geschah in dem Jahr, das vergangen ist, seitdem das Interview geführt wurde? Wie präzise können Sie die tatsächlichen Leistungen des Studenten im ersten College-Jahr auf der Basis von fünf Adjektiven vorhersagen? Würde der Berater selbst auf der Basis des Interviews den Notendurchschnitt absolut zutreffend vorhersagen?
    Das Ziel dieser Studie war es, die Perzentil-Einschätzungen der Probanden, wenn sie in einem Fall die Informationen bewerteten und im anderen das tatsächliche Ergebnis vorhersagten, miteinander zu vergleichen. Die Ergebnisse lassen sich leicht zusammenfassen: Die Urteile waren identisch. Obgleich sich die beiden Fragenpaare voneinander unterschieden (in dem einen ging es um die Beschreibung, in dem anderen um die zukünftige akademische Leistung des Studenten), behandelten die Teilnehmer sie so, als wären sie gleich. Wie im Fall von Julie wird kein Unterschied gemacht zwischen der Vorhersage eines zukünftigen Ereignisses und der Beurteilung der gegebenen Informationen. Vorhersage und Bewertung decken sich. Dies ist vielleicht der beste Beleg für die Rolle der Ersetzung. Menschen werden um eine Vorhersage gebeten, aber sie ersetzen diese durch eine Bewertung der Information, ohne zu bemerken, dass die Frage, die sie beantworten, nicht die gleiche ist, die ihnen gestellt wurde. Dieser Prozess führt zwangsläufig zu Vorhersagen, die mit einem systematischen Fehler behaftet sind; sie lassen völlig die Regression zum Mittelwert außer Betracht.
    Während meines Wehrdienstes in der israelischen Armee war ich eine Zeit lang einer Einheit zugeteilt, die Bewerber für die

Weitere Kostenlose Bücher