Schnittstellen
zu klären. Das geht aber oft nicht. Quatschen nutzt nichts, wenn man sich wünscht, woanders zu sein.
Anja
Ja, das hatte ich mir doch gedacht, da steckte eine Menge mehr hinter dem Besuch von Miriam, als Meike erzählt hat. Ein Mädchen, das mit seinen Eltern zurzeit gar nicht klarkommt. Erst hatten sich die beiden im Netz nur über Miriams Verhältnis zum Essen ausgetauscht, bis dann der ganze Rattenschwanz kam, wieso, warum überhaupt. Und dass Miriams Vater das Problem zu lösen sucht, indem er sie zwingt, das Fleisch zu essen, das vor ihr auf dem Teller liegt. Hier bei uns kann ich gar nicht feststellen, dass Miriam ein gestörtes Verhältnis zum Essen hat. Natürlich haben wir gefragt, was sie mag, weil Meike ihre Schwierigkeiten angedeutet hatte. Aber Miriam sagte, sie mag alles, und das stimmt tatsächlich. Wirklich. Sie isst frohgemut und mit Appetit. Erst war ich etwas misstrauisch, ob sie vielleicht Bulimie habe, aber da gab es keine Anzeichen. Meike und Miriam sind mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Sie wollen Miriams Problem lösen! Schließlich rückten sie auch deshalb mir und Karl gegenüber mit der Wahrheit heraus. Es wird ganz klar, dass Miriam die Situation zu Hause den Appetit verdirbt. Miriam soll Anforderungen in der Schule erfüllen, damit sie dann den Gärtnereibetrieb ihres Vaters übernehmen kann. Der Vater bestimmt sehr autoritär über Miriams Tagesablauf und ihre Lebensplanung, und die Mutter hat dem nichts entgegenzusetzen. Den Sohn hatte die Familie auf diese Weise schon vergrault. Jetzt liegen alle Hoffnungen auf Miriam. Ja, und Miriam ist nun zu Meike abgehauen. Meike, die jede soziale Ader in sich verleugnet, aber es selbstverständlich findet, anderen zu helfen, soweit sie es vermag. Jetzt wissen die beiden nicht wirklich weiter, und ich sage, gleichgültig, was passiert ist, Miriam muss ihren Eltern mitteilen, wo sie steckt. Miriam hat eine Höllenangst, retour geschickt zu werden, aber ich sage, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat und erkläre mich bereit, mit der Mutter zu sprechen.
Meike
Miriam scheint es bei uns ganz gut zu gehen. Aber sie ist wirklich verdammt dünn. Hier isst sie immerhin normal – ich frage mich, ob sie das nur tut, um zu verhindern, dass man sie dazu anhält mehr zu essen und ihr damit auf die Nerven geht. Meine Eltern sind zur Arbeit. Weil ich noch einige Tage gut hatte, konnte ich für Miriam zwei Tage frei bekommen. Herr Kuckensiel hätte aber bestimmt nicht zugestimmt, wenn gerade Stress im Institut gewesen wäre. Also Glück für mich und Miriam. Meine Mutter hat versprochen, dass wir heute Mittag in Ruhe darüber reden, wie es weitergehen soll. Sie meint, wichtig sei erst einmal, dass Miriams Eltern wissen, dass es ihr gut geht. Vielleicht hat sie recht, aber die sollen sich ruhig mal Sorgen um Miriam machen, so wie die sie immer behandeln.
Miriam und ich spielen Mensch ärgere Dich nicht . Im Grunde kein besonders spannendes Spiel, aber wenn man sich dabei unterhalten möchte und das Spiel nur Nebenbeschäftigung ist, dann ist es in Ordnung. Als es klingelt, bin ich erstaunt. Ich öffne erst nur die Korridortür, es könnten die Freunde meiner Eltern sein, die gleich in der Wohnung gegenüber wohnen. Aber auf dem Flur ist niemand. Ich drücke auf den Schalter, der die Haustür öffnet, und gucke zwischen dem Geländer die Treppen hinunter, wie wir es immer machen, wenn wir nicht wissen, wer da kommt. Zwei Polizisten! Ich kann die Uniformen erkennen. Was wollen die hier? Die beiden Männer gucken mich unfreundlich an, als sie oben angekommen sind.
»Wir suchen Miriam Weiler«, sagt der jüngere Mann in barschem Ton, »sie soll hier bei euch sein. Wenn das stimmt, hole sie bitte an die Tür, sonst müssen wir reinkommen.« Der Polizist ist unhöflich. Dreist. Fordernd. Ich hasse solch einen Ton. Denken die, sie könnten sich erlauben, so mit mir zu sprechen, nur weil sie Uniformen tragen? Oder noch schlimmer: Denken die, sie könnten sich erlauben, so mit mir zu sprechen, nur weil sie erwachsen sind und ich nicht? Natürlich sage ich das nicht.
»Ja, sie ist hier.« Ich bemühe mich um einen freundlichen Ton. Das muss ich machen, sonst werden sie wahrscheinlich noch laut. Ich halte es für besser, ihnen das Gefühl zu geben, dass ich ihren Anweisungen Folge leisten werde und mich nicht gegen sie auflehnen will. Tatsächlich wird ihr Ton nun höflicher.
»Könnten wir bitte mit ihr sprechen?«
Ich bin irgendwie verwirrt. »Einen
Weitere Kostenlose Bücher