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Schockwelle

Schockwelle

Titel: Schockwelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler
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Blick stierten sie über die Wasserwüste, und manch einer hatte bereits Wahnvorstellungen. Zwei Seeleute schworen, sie hätten die
Gladiator
gesehen, sprangen vom Floß und schwammen auf das vermeintliche Schiff zu, bis sie untergingen oder von dem stets gegenwärtigen Scharfrichter und seinen gefräßigen Gefährten angefallen wurden.
    Die Überlebenden gaben sich Wachträumen hin. Sie bildeten sich ein, sie säßen an einer reich gedeckten Tafel, bummelten durch die belebten Straßen einer Großstadt oder wähnten sich zu Hause, wo sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gewesen waren.
    Scaggs träumte, er säße mit seiner Frau und den beiden Kindern am offenen Kamin in seinem Cottage und blickte auf den Hafen von Aberdeen.
    Plötzlich starrte er Dorsett mit seltsamem Blick an und sagte:
    »Wir haben nichts zu befürchten. Ich habe der Admiralität Nachricht gegeben. Man wird ein Schiff zu unserer Rettung losschicken.«
    Betsy, die nicht minder benommen war wie der Kapitän, fragte ihn: »Welche Taube habt Ihr denn genommen? Die schwarze oder die graue?«
    Dorsett hingegen verzog grinsend die verdorrten und aufgeplatzten Lippen. Er war wie durch ein Wunder bei Verstand geblieben und hatte den wenigen Seeleuten, die sich noch rühren konnten, beim Ausbessern des angeschlagenen Floßes geholfen.
    Außerdem hatte er ein paar Fetzen Leinwand zusammengerafft und ein kleines Sonnensegel über Scaggs aufgebaut. Betsy kümmerte sich unterdessen fürsorglich um die Wunden des Kapitäns. In diesen endlosen Stunden schlossen der Wegelagerer, die Diebin und der Schiffskapitän Freundschaft miteinander.
    Da seine Navigationsinstrumente im Eifer des Gefechts über Bord gegangen waren, konnte Scaggs ihre Position nicht mehr bestimmen. Er befahl seinen Männern, mit Zwirn und zu Haken gebogenen Nägeln auf Fischfang zu gehen. Menschenfleisch diente als Köder. Die kleineren Fische bissen nicht an, und auch die Haie ließen sich nicht verlocken.
    Dorsett schlang ein Tau um den Griff eines Säbels und stieß ihn in den Rücken eines Hais, der dicht am Floß vorbeischwamm. Da er wußte, daß er dem Schrecken der Meere kräftemäßig nicht mehr gewachsen war, schlang er das andere Ende des Taus um den Mast und wartete den Todeskampf des Hais ab, um ihn danach an Bord zu ziehen. Er holte lediglich die blanke, abgeknickte Säbelklinge ein. Zwei Seeleute befestigten die Bajonette der Soldaten an langen Stangen und stachen mit den so entstandenen Speeren auf die Haie ein, doch die zogen ungerührt ihre Kreise.
    Sie hatten den Fischfang bereits aufgegeben, als spätnachmittags ein großer Schwarm Meeräschen unter dem Floß hindurchschwamm. Die zwischen einem halben und knapp einem Meter langen Fische ließen sich viel leichter harpunieren und an Bord werfen als die Haie. Noch ehe der Schwarm vorübergezogen war, zappelten sieben stromlinienförmige Leiber mit gegabelter Schwanzflosse auf den mit Meerwasser vollgesogenen Planken.
    »Gott hat uns nicht verlassen«, murmelte Scaggs, während er die silbernen Fischleiber musterte. »Meeräschen sind für gewöhnlich im flachen Wasser heimisch. Ich habe sie noch nie auf hoher See gesehen.«
    »Es ist, als hätte er sie direkt zu uns geschickt«, flüsterte Betsy mit großen Augen, die sich der ersten Fleischmahlzeit seit zwei Wochen gegenübersah.
    Sie waren so hungrig und hatten so wenige Fische, daß sie das Fleisch einer Frau dazugaben, die knapp eine Stunde zuvor gestorben war. Es war das erstemal, daß Scaggs, Dorsett und Betsy Menschenfleisch anrührten. Doch diesmal empfanden sie nichts Unrechtes dabei, einen Artgenossen zu verzehren, zumal sie zwischendurch Fisch aßen. Und der überdeckte zumindest teilweise den abstoßenden Geschmack menschlichen Fleisches.
    Kurze Zeit darauf ging ein Regenschauer nieder, der ihnen rund sechs Liter Süßwasser bescherte.
    Dadurch kamen sie zwar vorübergehend wieder zu Kräften, doch nach wie vor machten sie sich wenig Hoffnung. Die Wunden und Abschürfungen, die sich im Salzwasser entzündet hatten, bereiteten ihnen endlose Pein. Hinzu kam die Sonne, die gnadenlos auf sie herabbrannte. Die Luft war stickig, die Hitze kaum zu ertragen. Erleichterung brachten nur die Nächte, wenn die Temperatur sank. Doch einige Insassen des Floßes konnten die Qualen nicht einen Tag länger ertragen. Weitere fünf Männer, vier Sträflinge und der letzte überlebende Soldat, gingen heimlich über Bord und starben eines schnellen Todes.
    Am fünfzehnten Tag waren noch

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