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Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

Titel: Schöne Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Gedanke, dachte Plotek und: So hab ich das noch gar nie gesehen. Damit würden zumindest gedanklich unantastbare Denkmäler gestürzt, Heiligtümern der Schein stibitzt und Mythen unfreiwillig vom Staub der Unvergänglichkeit befreit. Und, wie zur Bestätigung ging Skolnys Hand wieder zur Brust und mit Brummstimme: »›In unsers Busens Reine wogt ein Streben, / Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten / Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben, / Enträtselnd sich den ewig Ungenannten; / Wir heißen’s: fromm sein! – Solcher seligen Höhe / Fühl ich mich teilhaft, wenn ich vor ihr stehe.‹ Blödsinn! Ficken wollte der, nichts als ficken, der alte geile Bock. Aber bis so ein junges, knackiges Ding mit so ’nem Opa ins Bett geht, ist der Opa lange schon tot.«
    »Und das Grandhotel steht noch immer!«, sagte Plotek, um von Skolnys despektierlichen Äußerungen ein wenig abzulenken. Irgendwie war es ihm jetzt doch unangenehm, wie respektlos dieser Pathologe a.D. mit dem deutschen Nationaldichter umsprang.
    »Ja, selbst dieser geile Bock konnte dem Grandhotel nichts anhaben! Es hat sich all die Jahre behauptet gegenüber jeglichen. . .« Ein Hustenanfall unterbrach Skolnys Redefluss. Plotek klopfte ihm auf den Rücken und wieder waren dunkle Flecken im hellblauen Taschentuch zu sehen. Skolny hielt den Mund und Plotek gab sich wieder dem beeindruckenden Ambiente des Grandhotels hin. Es kam ihm vor, als ob die Zeit stillgestanden wäre – einerseits. Architektonisch, Aussehen, Atmosphäre, jetzt. Andererseits machten die Moderne und Postmoderne hier keineswegs Halt. Eher Gegenteil. Alles war auf dem neuesten Stand. Dienstleistungen, Ausstattung, Technik und Personal, jetzt. Irgendwie wurden hier das gute Alte und das gute Neue elegant verknüpft – beeindruckend. Auch den anderen Gästen der Reisegruppe blieb der Mund vor Staunen offen stehen. So einen Luxus hatten sie kaum erwartet. Frau von Ribbenhold nicht, Korbinian Stremmel nicht und Herr Wilhelm auch nicht. Der Reiseprospekt ist das eine, die Realität das andere. Meistens klafft dazwischen eine unüberwindbare Lücke, so groß, dass der ganze Urlaub darin versinkt. Kennt man ja, Strand am Hotel heißt es da vielversprechend im Hochglanzprospekt. Oder direkter Zugang zum Meer wird da großspurig angekündigt. Klar kommt man direkt ans Meer, zuerst muss man aber über drei Ausfall-, zwei Einfall – und vier Umgehungsstraßen, bis man schließlich, nach einer halben Autostunde bei brütender Hitze, am Strand ankommt, an dem sich schon ganz Niederbayern, Schwaben und Teile Sachsens niedergelassen haben. Da ist dann die Prognose nicht nur eine halbe Stunde, sondern Lichtjahre von der Realität entfernt. Der Urlaub wird zum Anlass für Nervenzusammenbrüche, Ehekrisen und jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit Reiseveranstaltern.
    Da war das Grandhotel ganz anders. Zwar stellte der Reiseprospekt auch hier die Wirklichkeit verzerrt dar – aber negativ, soll heißen unterm Strich also positiv. (Bis auf Hans-Hermann Mettke, der kam gedruckt besser weg.) Das Negative war so positiv, dass selbst Totgeglaubte plötzlich wieder putzmunter wurden. Roswitha Klinkermann schien sich durch den Anblick dieser prachtvollen Kulisse schneller vom Tod ihres Klausis zu erholen als erwartet. Selbst Marie-Louise schaute schon zum zweiten Mal aus freien Stücken von ihrer Mädchenzeitschrift auf und staunte, dass ihr blassrosa Kaugummi frech aus der dunklen Mundhöhle hervorblitzte. Und als ob auch Ohren sehen könnten, staunte sogar Silke Klein. Nur Herr von Alten gab sich unbeeindruckt routiniert.
    »Das ist erst der Anfang, meine Damen und Herren«, sagte er. »Sie werden aus dem Staunen ob dieser einzigartigen Pracht gar nicht mehr herauskommen.«
    »Arschloch«, brummte Skolny.
    »Wichtigtuer«, Silke Klein.
    Und Plotek dachte, ist der jetzt die Reisebegleitung oder ich? Herr von Alten hatte sich ja schon im Bus als Reiseleiter aufgeführt. Jetzt hätte man denken können, dass das Plotek nur recht sein konnte. Aber falsch gedacht. Erstens ist da auch ein wenig Eitelkeit mit ins Spiel gekommen. Dabei muss man wissen, dass Plotek von der Geißel der Eitelkeit weitgehendst befreit war. Nur hin und wieder ist sie aus tiefsten Abgründen hervorgekrochen, hat sich wie Krampfadern um seine Beine geschlängelt und ihn drangsaliert. Meistens, wenn er sich übergangen oder ausgetrickst fühlte oder einfach links liegen gelassen wurde – wie jetzt.
    Das war früher schon so. Fußball jetzt.

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