Schöne Bescherung
Hosenboden gelandet. Trotzdem war er völlig verschwitzt und außer Atem, als er oben am Maier-Altan angekommen ist.
»D-d-das hat ja gedauert.«
Stremmel saß noch immer auf dem Geländer. Unter sich die Felsen. In der Hand eine Literflasche Becherovka, fast leer. Ploteks Kreislauf spielte verrückt. Auf der Stirn stand ihm kalter Schweiß. Sein Blick war verschwommen, der Mund trocken. Er zitterte. Das kannte er schon. Bei übermäßiger körperlicher Anstrengung versagte sein Organismus regelmäßig. Plotek gehört zu den Menschen, die Sport als gesundheitsschädlich ablehnen und es halten wie ein ehemaliger britischer Premier.
Jetzt war er froh, dass er lebend auf der Petershöhe angekommen war. Er steckte sich als Allererstes eine Zigarette an und setzte sich auf die Holzbank in den Pavillon.
»Schöner Ausblick von hier oben.«
Typisch Plotek. Jeder andere hätte jetzt gesagt: Was soll das, Stremmel? Oder: Geh runter von dem Geländer. Oder: Warum sitzt du da überhaupt oben? Ganz anders Plotek. Plotek hat nur über den schönen Ausblick geredet, über die erfrischende, kalte Luft, den klaren Himmel, und dabei genüsslich an seiner Zigarette gezogen. Das schien auch Stremmel ein bisschen zu irritieren.
»Es gibt wenige Momente im Leben wie diesen«, log Plotek und tat so, als ob das Sitzen hier oben purer Genuss wäre. Dabei fühlte er sich hundsmiserabel schlecht. Wenn er die Augen schloss, sah er Blitze. Wenn er sie offen hielt, vereinzelte schwarze Punkte. Ob das jetzt schon die ersten Anzeichen von einer rhegmatogenen Netzhautablösung waren oder doch nur eingebildet – keine Ahnung.
Nach ein paar Minuten des Schweigens sagte Plotek: »Darf ich auch mal?«
Stremmel wurde jetzt noch verdutzter und guckte Plotek erstaunt an, als ob er darüber nachdachte, ob sich der Reisebegleiter jetzt tatsächlich zu ihm setzen wollte. Aber vergiss es. Plotek zeigte auf die Becherovka-Flasche. Stremmel grinste, das erste Mal, seit Plotek auf der Holzbank saß, und reichte ihm die Flasche. Plotek nahm einen kräftigen Schluck. Der Mund war jetzt nicht mehr so trocken, der Blick wurde klarer. Er rülpste leise. Stremmel grinste erneut. Es funktioniert, dachte Plotek. Die einzige Möglichkeit, Stremmel von seinen selbstzerstörerischen Gedanken abzubringen, ist Vertrautheit hersteilen. Aber wie macht man so was? Man tut etwas, was man normalerweise nicht in Gesellschaft anderer macht. Was normalerweise dem Alleinsein Vorbehalten bleibt. Meistens. Plotek furzte jetzt plötzlich, dass die Holzbank zitterte. Stremmel lächelte wieder und rückte, wenn auch nur ein paar Zentimeter, näher in Ploteks Richtung. Plotek nahm noch einen Schluck und gab ihm die Flasche wieder zurück.
»Ganz schön hoch.«
»Hoch genug.« Stremmel stotterte nicht mehr. Was auf seinen Alkoholkonsum schließen ließ.
»Stimmt. Höher wäre zu hoch – für mich.«
Jeder, der Plotek nur ein bisschen kannte, hätte jetzt denken müssen: Komisch, Plotek spricht nie über sich, und wenn, dann führt er etwas im Schilde. Stremmel kannte Plotek nicht, also kam ihm das auch nicht spanisch vor. Er nahm jetzt ebenfalls einen Schluck aus der Flasche und rülpste. Plotek lächelte.
»Wie sind Sie eigentlich hier hochgekommen?«
»Sie meinen mit dem Holzbein und den verschneiten Treppenstufen?«
Plotek nickte und dachte, so stotterfrei wie der spricht, muss er randvoll sein.
»Geduld, Konzentration und immer am Geländer entlang«, sagte Stremmel, ohne zu nuscheln. »Aber ich kann Sie beruhigen: Runter geht es einfacher – da brauche ich keine Treppen mehr!«
Das versetzte Plotek dann doch ein wenig in Aufregung. Bloß nichts anmerken lassen.
»Was machen Sie eigentlich da oben überhaupt?«, sagte er fast schon ein wenig unbeteiligt.
»Schluss.«
»Warum?«
»Tun Sie doch nicht so Plotek, Sie wissen doch alles.«
»Man weiß nie alles.«
»Philosoph, was?«
»Stammtischphilosoph, wenn schon.«
Stremmel lachte.
Plotek griff in seine Jackentasche und holte die Zigarettenpackung heraus. Er steckte sich eine in den Mund. Dann suchte er das Feuerzeug in den anderen Taschen. In der Innentasche fand er es. Aber nicht nur das Feuerzeug war da, sondern auch der einzelne Badelatschen mit den Initialen SK – Stremmel, Korbinian. Plotek legte ihn auf die Balustrade, daneben die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug.
»Wollen Sie auch eine?«
»Sie meinen die Letzte? Warum nicht.«
Stremmel zündete sich eine an, nahm den Badelatschen und warf
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