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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Oberlippenbart. Er trug eine Art Trachtenanzug mit Hirschknöpfen und Lederapplikationen. Verstohlen und mit großem Interesse beobachtete er das Spiel des Ehepaars. Der Mann hatte bisher die ganze Reise über geschwiegen und sich nur ein einziges Mal, am Anfang kurz nach dem Zusteigen in München, zu Wort gemeldet. Leise, kaum hörbar brachte er heraus: »M-m-m-mein N-n-n-name ist K-k-k-kor-b-b-bini-a-a-an St-st-st-stremm-m-m-el a-a-aus M-m-m-memm-m-m-m-ingen.« Selbst wenn Korbinian Stremmel aus Memmingen mehr hätte sagen wollen, er konnte nicht. Oder zumindest nur so, dass zwischen dem, was an Worten in ihm war, und dem, was an Worten herauskam, eine unüberwindbare Diskrepanz lag – für ihn, Korbinian Stremmel. Für die anderen war da meistens ein unverständliches Kauderwelsch, was in der Regel zu gemeinen Missverständnissen führte und unter betrunken, verrückt oder nicht mehr alle Tassen im Schrank! subsumiert wurde. Die, die es hörten, waren peinlich berührt. Plotek nicht. Armes Schwein, dachte Plotek und dann an sich selbst.
    Jetzt muss man wissen, dass auch Plotek einmal gestottert hat. Vom fünften bis zum achtzehnten Lebensjahr war Ploteks sprachliches Ausdrucksvermögen so was von grauenvoll, dass sein Vater immer sagte, wenn Plotek sich anschickte, den Mund aufzumachen: »Halt bloß dei Maul!« Was er dann auch meistens tat. Wenn er doch musste – in der Schule, in der Sakristei, beim Beichten – , dann sprangen ihm die Worte auseinander wie ein Sack voller Flöhe und zerlegten sich in die einzelnen Buchstaben. Verschlusslaute, Reibelaute und Zischlaute bauten sich wie unüberwindbare Mauern vor ihm auf, die er mühsam hochzukraxeln versuchte. Das dauerte. Den Gesprächspartnern meistens zu lange. Entweder sie ließen ihn lachend stehen oder hörten kopfschüttelnd und mitleidig weg. Natürlich wurden Logopäden aufgesucht und Sprechtherapien verschrieben – aussichtslos! Mehr als hilflose Erklärungsmuster wie Selbstverweigerung, Kontrollverlust und Konfliktangst kamen da nicht. Nur wenn Plotek richtig wütend war, konnte er fehlerfrei sprechen. Plotek war selten wütend.
    Mit der Zeit kamen ihm dann einige Floskeln ungebrochen über die Lippen. Im Kindesalter waren es zum Beispiel »Geht schon«, »Hals – und Beinbruch« oder »Der Himmel ist blau«. Später im jugendlichen Alter dann »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«, »Schließlich weiß man nie, wie’s endet« und »Leck mich doch am Arsch!«. Warum Plotek beim Sprechen klapperte wie ein Storch – keine Ahnung. Ob es mit dem Elternhaus zu tun hatte? Kann sein. Was hat nicht mit dem Elternhaus zu tun? Als er das Elternhaus verließ, war das Stottern plötzlich verschwunden. Reden tat Plotek trotzdem nicht viel. Nur, das, was von da an aus seinem Mund kam, war wenigstens zu verstehen.
    Als Plotek Korbinian Stremmel fragte, ob er auch aufs Klo müsste, nickte der nur halbherzig.
    In der ersten Reihe, direkt hinter dem Fahrer, schlief eine Frau mit Hut. Aus dem Hut sprossen zwei lange Federn, die sich wie Antennen in der Luft bewegten, als ob sie sich ständig justieren müssten. Sie trug ein graues Kostüm, darüber einen grauen Wintermantel und wirkte, bis auf die Federn, völlig unauffällig. Kurz nach dem Einsteigen fielen ihr schon die Augen zu. Plotek beachtete sie nicht näher.
    Vor Herwig E. Skolny und gegenüber von Frau Klinkermann saß Kita Kubella, eine auffallende Erscheinung von unschätzbarem Alter – zwischen siebzig und schon lange tot. Sie hatte rot gefärbte Haare und trug eine Art Tracht: roter Rock, weißer Schurz, dicke rote Strumpfhosen und eine weiße Bluse. Darüber eine kurze schwarze Jacke. Sie erinnerte Plotek an die Heimatfilme im alten Grundig-Fernseher, der früher im Ostalbschwäbischen auf dem Wohnzimmerbüfett stand und schwarzweiß zu Tränen rührte. Zumindest seine Mutter. Die weinte spätestens in der Mitte des Films mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Während sein Vater versuchte, sie scherzhaft zu beruhigen, indem er sagte: »Isch doch bloß a Film!« Am Ende war die Mutter dann wieder fröhlich, aber nicht, weil es bloß ein Film war, sondern weil diese Art von Filmen immer glücklich endete, Held und Heldin, beide in volkstümlicher Tracht, wieder zusammenkamen und sich Treue bis zum Abspann schworen.
    Um den Hals von Kita Kubella, an den Ohren und an den Handgelenken hingen schwere goldene Ketten mit bunten Strassklunkern. Ihr Gesicht sah aus, als ob sie kopfüber

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