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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Handtaschen singen, dachte Plotek noch, als es noch lauter und ziemlich schrill »Passkontrolle!« tönte.
    Plotek schlug die Augen auf und sofort war ihm klar, dass die Stimme nicht zu einer Handtasche gehörte, sondern zu Ferdinand Schnabel, der jetzt noch eindringlicher »Komm, mach schon, schnell, der wartet doch!« sagte.
    Dabei öffnete er die vordere Bustüre, zu der jetzt nicht nur ein eisiger Wind hereinkam, sondern auch ein schnauzbärtiger tschechischer Grenzbeamter, der, nachdem er die ersten Stufen im Bus hochgestiegen war und jetzt neben Plotek stand, nach Eukalyptusbonbon und nach Ploteks von Motten zerfressener Cordjacke roch.
    »Passport!«
    Plotek, im Gesicht deutlich den Abdruck des Musters vom Kopfstützenüberzug, nahm die zu Beginn der Reise eingesammelten Pässe aus der Ledermappe, die auf der Armatur vor ihm lag, und reichte sie dem Grenzer. Ausdruckslos nahm der den Stoß Reisedokumente und zog damit wieder ab. Den Eukalyptusgeruch und den nach Cordjacke ließ er zurück. Ob es jetzt die müffeinde Cordjacke war oder vielleicht die Grenze selbst, die Plotek zittrige Knie machte, wusste er nicht. Vermutlich bei des. Jetzt muss man wissen, dass bei jeder Grenze dieser Welt ein flaues Gefühl in Ploteks Magengegend einzog. Seit dem Tag, an dem Plotek mit seinem alten VW-Bus kurz nach dem Abitur und noch vor der Schauspielschule nach Berlin gefahren ist. An der Grenze zur Deutschen Demokratischen Republik sagte ein ebenfalls schnauzbärtiger sächselnder Grenzbeamter: »Stölln Sö dö Mötör äb ond machn Sö amöl dö Köfföröum öuf!« Musste Plotek natürlich schmunzeln. Erstens wegen dem Dialekt und zweitens wegen dem Kofferraum. Der VW-Bus hatte nämlich keinen. Und: Fehler! Weil, Grundsatz: keine emotionale Regung (Lachen, Weinen, Schreien, Wut) in Gegenwart von Polizeibeamten. Bleibe quasi ausdrucks – und regungslos wie tot oder neutral wie ein Kleidungsstück, Gummistiefel, Sockenhalter. Alles andere gereicht zum Nachteil, macht verdächtig. Der Beamte fühlt sich angegriffen, provoziert, verschmäht, gereizt – und wenn Beamte fühlen, dann gute Nacht.
    Musste Plotek also nicht nur den Motor abstellen, sondern den ganzen VW-Bus ausladen. In jede Kiste haben sie geguckt, jede Schachtel ausgeleert und jede Unterhose gewendet. Nichts. Nichts Auffälliges. Konnte Plotek sich natürlich ein weiteres Schmunzeln nicht verkneifen. Und: wieder Fehler. Sogar die Armaturen und Türverkleidungen haben sie ihm abgeschraubt. Da haben sie natürlich einiges gefunden. Ein gebrauchtes Kondom, ein nicht mehr ganz frischer Büstenhalter, ein halbes ranziges Käsebrötchen, eine zerknitterte Autogrammkarte von Wolf Biermann (wie die hinter die Schiebetüre kam, war Plotek ein Rätsel), ein Zeitungsfetzen mit einem Spiegel-Artikel über die Verbrechen Stalins und ein Bröckelchen schwarzer Afghane – das reichte.
    Plotek grinste jetzt nicht mehr. Dafür die sächselnden Schnauzbärte. Plotek durfte die Armaturen und Türverkleidungen eigenhändig wieder anschrauben und den Bus einladen. Dann wurde er wieder zum kapitalistischen Feind zurückgeschickt. Aber denkste. Der Bus wollte nicht. Ob es jetzt der Anlasser war, der Vergaser oder der schrottige Allgemeinzustand des VWs – egal. Er ließ sich einfach nicht starten. Trotz der jetzt emotionalen Regungen der sächselnden Schnauzbärte (Lachen, Schreien, Toben, Wut) ging nichts. Der Bus bewegte sich keinen Millimeter. Plotek saß hinter dem Steuer und zuckte hilflos mit den Schultern. Was soll man auch machen, wenn ein rollender Schrottkübel sich weigert, den Boden der Deutschen Demokratischen Republik zu verlassen? Abschieben! Blieb den sächsischen Schnauzbärten gar nichts anderes übrig als Hand anzulegen und zu schieben. Da lächelte Plotek dann doch wieder, wie er im Rückspiegel die drei DDR-Grenzbeamten seinen Schrottbus in Richtung BRD schieben sah.
    »Küpplüng! Gang önlögön!«, schrien sie, schiebend und schnaufend, immer wieder. Plotek wartete extra lange, bis er die Kupplung kommen ließ und den zweiten Gang einlegte, so dass der Bus hoppelnd und puffend schließlich selbstfahrend auf Touren kam. Zurück blieben die keuchenden Schnauzbärte im Rückspiegel, völlig erschöpft auf die Knie gestützt.
    Der tschechische Grenzbeamte war wieder zurück. Als er Plotek seinen Reisepass zurückgeben wollte, schien er sich von Ploteks gemusterter Gesichtsoberfläche irritieren zu lassen. Lange schaute er ihn an, als wollte er in seinem

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