Schöne Khadija
Sache gestorben, verstanden?
Es war leicht gewesen, es zu versprechen. Natürlich erzählen wir nichts. Aber da hatte ich nicht mit Onkel Osman gerechnet. Und Maamo sah uns kopfschüttelnd an, als hätten wir eine Bank überfallen. Was sollten wir ihnen nur sagen?
Tante Safia beugte sich über den Tisch. »Wo hast du Khadija hingebracht?«, fragte sie sanft. »Du musst vorsichtig sein, Abdi. Denk daran – sie ist nicht wirklich deine Schwester.«
Auf diese Idee war ich nicht einmal gekommen. Es war so lächerlich, dass ich fast gelacht hätte. »Es war nichts in der Art!«
Khadija schien erbost. »Ich und Abdi ? Wie könnt ihr auch nur daran denken …!«
»Es geht nicht darum, was wir denken«, fuhr Maamo auf, wie sie es immer tut, wenn sie sich Sorgen macht. »Es geht darum, was die anderen denken! Dein Vater vertraut darauf, dass wir auf dich aufpassen.«
Khadija hieb mit der Hand auf den Tisch. »Ihr passt auf mich auf. Und ich habe nichts getan.«
»Und – wo seid ihr gewesen?«, fragte Onkel Osman wieder.
Seid ihr schon einmal in einer dunklen Gasse von einer Gang in die Enge gedrängt worden? Genau so fühlte es sich an. Onkel Osman würde nicht aufgeben, bis er wusste, wo wir gewesen waren – und das durften wir ihm nicht sagen. Verzweifelt sah ich Khadija an.
Sie tat das Einzige, an das ich nicht gedacht hatte. Sie sagte die Wahrheit. »Man hat mir einen wirklich guten Job angeboten. Es ist ehrliche und gut bezahlte Arbeit und ich glaube, ich kann damit genug Geld verdienen, um meine ganze Familie hierher zu bringen.«
»Alle?«, staunte Onkel Osman und zog die Augenbrauen hoch. »Ich wusste nicht, dass man mit ehrlicher Arbeit so leicht Geld verdienen kann.«
»Auf was habt ihr euch eingelassen?«, fragte Maamo.
Khadija richtete sich auf. »Das ist ein Geheimnis.«
Das war natürlich, als hätte sie eine Bombe geworfen. Tante Safia keuchte erschrocken auf und Maamo drehte durch.
»Wie könnt ihr nur so dumm sein!«, rief sie. »Warum sollte euch jemand, der ehrlich ist, darum bitten, es vor eurer Mutter geheim zu halten?«
Nicht die Beherrschung verlieren , sagte ich mir und zwang mich, ganz ruhig zu bleiben. »Ich weiß, dass das schlimm klingt, Maamo, aber wir haben es versprochen. Und es gibt einen guten Grund dafür. Ihr müsst uns vertrauen, bitte.«
Maamo schnaubte, als hätte ich gerade das Allerdümmste gesagt, doch Onkel Osman sah mich nachdenklich an.
»Versprechen sind eine ernste Sache«, meinte er. »Und ich weiß, dass du ein vernünftiger Junge bist, Abdi. Vielleicht sollten wir euch also tatsächlich vertrauen.« Er kaute einen Moment an seiner Lippe und nickte dann Khadija zu. »Geh doch deine Schwestern abholen, ja? Sie sind bei uns zu Hause.«
Wollte er damit sagen, dass wir unser Geheimnis für uns behalten konnten? Ich staunte. Auch Khadija schien verwirrt, aber sie stand auf und ging zur Tür.
Ich stand auf, um sie zu begleiten, aber Onkel Osman hielt mich mit einer leisen Kopfbewegung auf. Er wartete, bis Khadija draußen war, sah mich dann scharf an und streckte die Hand aus.
»Gib mir dein Telefon«, verlangte er.
»Was?« Ich starrte ihn an.
Er sagte es nicht noch einmal. Er saß einfach da, mit ausgestreckter Hand und ernstem, geduldigem Gesicht. Ich wollte mich weigern, aber mir war klar, dass er nur versuchte, das Richtige zu tun. Seit mein Vater verschwunden war, hatte er uns Dutzende Male geholfen – ohne um eine Gegenleistung zu bitten.
Ich nahm mein Telefon und hielt es ihm auf der Handfläche hin. »Ich muss mein Versprechen halten«, sagte ich schwach.
»Ich verlange nicht, dass du es brichst«, erklärte Onkel Osman. »Ich suche nur nach einem anderen Weg, dich zu schützen. Und nicht nur dich, Abdi. Was du tust, betrifft auch uns andere.«
Ich wusste, was er meinte. Wenn ein Somali etwas Schlimmes tut, hängen die Leute es gleich der ganzen Gemeinde an. Somalis sind stolz … Somalis unterstützen sich gegenseitig … Es gibt Dutzende von diesen Vorwürfen. Für Sandy zu arbeiten war zwar nichts Schlimmes, aber es konnte der Liste einen neuen Vorwurf hinzufügen. Somalis sind gut auf dem Laufsteg. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Onkel Osman darüber sehr erfreut sein würde.
Ich legte ihm das Telefon in die Hand und er schloss die Finger darum. »Du bist ein guter Junge«, sagte er. »Sorg dafür, dass es so bleibt. Und ich werde sehen, was ich für Khadijas Familie tun kann.«
Noch vor ein paar Tagen hätte ich ihm geglaubt. Bis
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