Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne Khadija

Schöne Khadija

Titel: Schöne Khadija Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Cross , Tanja Ohlsen
Vom Netzwerk:
waren. Ich brauchte eine Weile, bis ich den richtigen Teil ihrer Webseite fand, aber dann konnte ich mir Bilder aus all ihren früheren Kollektionen ansehen.
    Sie waren seltsam und erstaunlich. Wunderschöne, wilde Kleider, ganz anders als alles, was man auf der Straße sieht. Und auch die Mädchen, die sie trugen, waren anders. Sie hatten schmale, knochige Gesichter und einen abwesenden, stolzen Gesichtsausdruck. Weiße Haut und schwarze Haut, die Lippen gelb und lila und blau geschminkt und das Haar zu kunstvollen Formen aufgetürmt.
    Ich versuchte, mir vorzustellen, mich so zu zeigen wie sie, den Kopf unbedeckt und meine langen Beine nackt. Die Vorstellung war schrecklich. Sandy hatte gesagt, Niemand wird dich sehen , aber was bedeutete das? Mir war das alles nicht klar.
    Trotzdem musste es klappen – irgendwie. Denn die Zeit verrann wie Wasser in trockner Erde.
    Ich starrte die Bilder immer noch an und wunderte mich, als Suliman plötzlich aufstand und durch das Café auf mich zukam. Bumm! , machte mein Herz. Schnell wie ein Habicht vom Himmel stößt, schloss ich Sandys Seite und machte die Nachrichtenseite auf.
    Gerade noch rechtzeitig. Eine Sekunde später stand Suliman neben mir. Der Schatten seines Gesichts fiel über meinen Computer und seine lange Nase zeigte direkt auf meinen Bildschirm.
    »Deine Zeit ist fast um«, sagte er, während er über meine Schulter hinweg die Bilder von den Piratenschiffen im Golf von Aden betrachtete.
    »Ich hatte schon eine ganze Stunde?«, wunderte ich mich, aber als ich auf die Uhr sah, stellte ich fest, dass er recht hatte.
    »Das ist eine Menge Zeit, um schlechte Nachrichten zu lesen«, fand er und nickte zur Schlagzeile.
    »Es ist unser Land«, sagte ich, fuhr die Seite herunter und schob den Stuhl zurück. Es war keine direkte Lüge, aber genug, um ihn glauben zu lassen, dass ich dafür gekommen war. »Wir müssen wissen, was passiert. Ich wünschte nur, es wäre etwas Besseres.«
    »Der Tag wird kommen«, entgegnete Suliman heftig.
    Es hörte sich fast an wie ein Versprechen, und er sah mich an, als erwarte er eine Antwort. Aber was sollte ich sagen? Niemand wusste, was geschehen würde. Also stand ich auf, ohne zu antworten und er trat beiseite, um mich gehen zu lassen.
     
    Am nächsten Tag tat Tante Safia etwas Merkwürdiges.
    Ich kniete gerade vor einem niedrigen Regal und stellte Reispackungen hinein, als sie hinter mich trat und ins Regal griff, um eine der Packungen gerade zu rücken.
    »Was würdest du tun, wenn ich dir fünfhundert Pfund gäbe?«, fragte sie.
    Ich drehte mich zu ihr um, denn sie musste Witze machen. Aber nein, sie sah mir in die Augen, als erwarte sie eine Antwort.
    »Fünfhundert Pfund?« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war eine so seltsame Frage.
    »Oder tausend.« Sie zuckte mit den Achseln, als ob da gar kein Unterschied wäre. »Was würdest du kaufen?«
    »Ich würde gar nichts kaufen«, sagte ich. »Ich würde es an meine Mutter schicken. Für Mahmoud und meine Schwestern.«
    Es war das erste Mal, seit ich in England war, dass ich Mahmouds Namen laut ausgesprochen hatte und ich hatte das Gefühl, weinen zu müssen. Daher drehte ich mich schnell wieder zum Regal um, um mein Gesicht zu verbergen. Als ich dabei an eine der Reispackungen stieß, riss sie auf und die harten weißen Körner tanzten über den Boden.
    »Es tut mir leid«, sagte ich hastig. »Ich fege es weg.«
    Ich stand schnell auf, aber Tante Safia hatte den Besen geholt, bevor ich danach greifen konnte. Sie begann den Reis selbst wegzufegen und ich kniete mich wieder hin und wischte mit gesenktem Kopf die losen Reiskörner aus dem Regal.
    Plötzlich hielt der Besen inne.
    »Was willst du wirklich?«, fragte Tante Safia leise.
    Ich will nach Hause , dachte ich. Ich will zurück nach Somalia.
    Aber wenn man Worte laut ausspricht, kann man sie nie zurücknehmen. Und was hilft es, sich nach etwas zu sehnen, das unmöglich ist? Ich schob die letzte Packung gerade und hockte mich hin.
    »Ich möchte eine gute Ausbildung«, sagte ich, »damit ich meiner Familie helfen kann.«
    Ich hörte, wie Tante Safia tief Luft holte. »Natürlich«, sagte sie. »Du bist ein gutes Mädchen, Khadija. Und wir tun unser Bestes, uns um dich zu kümmern.« Einen Augenblick lang blieb sie hinter mir stehen. Dann erklang wieder das Kratzen des Besens.
    Als Abdi mich abholen kam, war es dunkel. Und es regnete so heftig, dass die Rinnsteine zu reißenden Bächen wurden.

In den nächsten

Weitere Kostenlose Bücher