Schöne Khadija
dahin war ich davon überzeugt gewesen, dass er ein wirklich mächtiger, wichtiger Mann war, der große Dinge bewirken konnte. Aber das war, bevor ich meine Nase in Sandy Dexters Welt gesteckt hatte. Jetzt war mir klar, dass ich mein Leben bisher in einer engen Kiste verbracht hatte. Die wirkliche Macht und das Geld waren außerhalb – und dort wollte ich sein.
Also lächelte ich Onkel Osman an, als er das Telefon in die Taschesteckte, und versuchte, auszusehen, als hätte ich nachgegeben. Doch dabei überlegte ich schon fieberhaft, wie ich dieses neue Problem lösen konnte.
Wie sollte Sandy uns finden, wenn ich kein Telefon mehr hatte?
Maamo und Onkel Osman waren sehr böse, aber sie schrien und schimpften nicht. Niemand schlug uns oder sperrte uns ein. Sie nahmen Abdi nur das Telefon weg.
Und ordneten mein Leben neu.
Es geschah ganz unauffällig. Am nächsten Tag kam Tante Safia mit einer Hose, die Maamo ändern sollte. Ich spülte gerade das Geschirr ab und während sich Maamo die Hose ansah, setzte sich Tante Safia an den Tisch – langsam und geruhsam, wie sie alles tat.
»Du bist ein gutes Mädchen«, erklärte sie nach einem Moment. »Ich bin mit deiner Arbeit im Laden sehr zufrieden. Wenn du etwas mehr Geld für deine Familie verdienen willst, kannst du gerne ein bisschen mehr bei mir arbeiten.«
»Aber …« Erst vor ein paar Tagen hatte sie gesagt, dass sie mich nur zweimal die Woche brauchte.
Sie beobachtete mich scharf. »Wenn du jeden Tag kommst, bezahle ich dir – dreißig Pfund die Woche.« Sie strahlte dabei, als ob sie mir einen Eimer voll Gold anbieten würde.
Fast hätte ich laut herausgelacht. Dreißig Pfund die Woche? Weißt du, was ich demnächst verdienen werde? Aber ich verstand, was sie vorhatte. Sie und Maamo wollten meine freie Zeit füllen. Ich sollte vor Schwierigkeiten geschützt werden wie ein krankes Kamel hinter einem dicken Zaun. Und die dreißig Pfund waren nur der Köder, damit ich zustimmte.
Fast hätte ich abgelehnt. Aber mir fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass das dumm gewesen wäre. Wenn ich mir auch nur einen Teil meinerFreiheit erhalten wollte, dann war es besser, wenn sie mir vertrauten. Also lächelte ich Tante Safia an.
»Ja, das mache ich gerne. Vielen Dank!«
Im nächsten Augenblick kam Maamo in die Küche zurück. Sie sah uns an und Tante Safia nickte ihr kurz zu. Ich hatte also recht gehabt, sie hatten das gemeinsam ausgeheckt. Das wird Abdi nicht gefallen, dachte ich. Jetzt muss er mich jeden Abend abholen.
Immer wenn ich in den Laden kam, spürte ich, wie mich Tante Safia beobachtete. Sie suchte nach Hinweisen auf die gute, ehrliche Arbeit, die mir stattdessen angeboten worden war. Aber ich verriet nichts. Ich tat einfach alles, um was sie mich bat – und das war eine Menge. Wenn Abdi mich abends abholen kam, musste er immer vor der Tür warten, bis ich damit fertig war, die Fenster zu putzen oder die Regale einzuräumen.
Drei Wochen lang bezahlte mir Tante Safia jeden Samstag die versprochene Summe aus. Sie legte eine Zwanzigpfundnote und zehn Pfundmünzen auf den Tresen und zählte sorgfältig noch einmal nach. Dann ließ sie die Geldbörse zuschnappen.
»Du bist ein gutes Mädchen«, sagte sie. »Es tut mir leid, dass ich nicht mehr bezahlen kann.«
Am vierten Samstag allerdings gab es eine Überraschung, denn Tante Safia schloss ihre Geldbörse nicht, als sie das Geld herausgenommen hatte. Stattdessen sah sie mich lächelnd an.
»Ich habe Suliman erzählt, wie hart du arbeitest«, sagte sie, »und er ist der Meinung, dass du einen Bonus verdient hast. Hier hast du etwas extra für diese Woche.«
Was hatte sie vor? Wollte sie mir eine Dose Bohnen geben?
Sie nahm ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche. »Geh ins Café, wenn Suliman dort ist, dann gibt er dir eine kostenlose Stunde an einem seiner Computer. Montagabend sei am besten, sagt er, weil es dann meist sehr ruhig ist.«
Vorsichtig nahm ich das Blatt. Es war zwar kein Geld, aber ich war froh, einmal eine ganze Stunde nur für mich im Internet surfen zu können,ohne dass mir jemand über die Schulter schaute. Hey, Khadija, bist du ein Modefan? An den Schulcomputern wagte ich es nicht, Sandys Webseite aufzurufen, aus Angst, jemand könnte Fragen stellen. Dort konnte ich nur E-Mails schreiben. Und wenn die Sommerferien begannen, würde nicht einmal das mehr gehen.
Abdi wartete bereits vor dem Laden. Ich steckte das Geld in die eine Tasche und das Blatt in die
Weitere Kostenlose Bücher