Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Mitte 20, die offenbar die letzte Stunde damit zu gebracht hatte, ihre gesamte Körperflüssi g keit über die Tränendrüsen auszuscheiden. Leise jammernd gab sie den Ermittlern Auskunft, nachdem sie sich im Woh n zimmer niedergelassen hatten. Wie fast immer in solchen Fä l len übernahm Lisa den größten Teil der Befragung.
„Sie standen Herrn Sieber wohl sehr nahe?“ fragte Lisa.
„Wieso?“ Vera Kesselbach schien e h r lich erstaunt. „Warum glauben Sie das?“
„Sie wirken ziemlich traurig, um mal tief zu stapeln.“
„Wir waren bloß Nachbarn“, hauchte die junge Frau. „Bloß Nachbarn. Wir sprachen ab und zu, und ich hab bei seinem letzten Urlaub seine Azalee versorgt. Das war alles.“
Lisa konnte erkennen, dass diese Frau sich mehr von i h rem schönen Nachbarn erhofft hätte. Sie sah gut aus, hatte einen hübschen kleinen Körper und machte einen sympath i schen Eindruck, aber sie war wohl nicht gerade dazu prädest i niert, einen entschlossenen Schwulen an seiner Sexualität zweifeln zu lassen. Oder sie zumindest kreativ zu erweitern.
Vera Kesselbach erzählte ihnen das wenige, das sie über den Toten wusste, wobei Lisa und Fabian nur wenig aufschri e ben. 25 Jahre alt war Thomas Sieber geworden, er studierte Medizin und wollte sich der Neurologie zuwenden. Seine E l tern lebten in Frankfurt und wurden von der dortigen Polizei persönlich informiert. Er hatte keine Vorstrafen, war ein ruh i ger Nachbar und empfing offenbar häufig Besuch.
Der Gesichtsausdruck der jungen Frau sprach Bände: Eine Mischung aus Trauer, Sehnsucht und einem gerüttelt Maß an Verachtung. Es ist eine Sache, nichts gegen Schwule zu haben, aber eine andere, wenn sie einem den Traummann wegne h men.
„Ich kann Ihnen da keinen Namen nennen“, erklärte sie. „Wie gesagt, so gut kannten wir uns nicht.“
„Haben Sie jemals mitbekommen, besonders in letzter Zeit, ob es größere Streitereien gab zwischen Herrn Sieber und einem seiner…“ Lisa suchte nach dem passenden Wort und fand es nicht. „…Betthasen?“
Vera Kesselbach sah sie an. „Ist das das passende Wort?“
Lisa ließ sich nicht beirren. „Gab es irgendeinen Streit?“
„Ich habe jedenfalls nichts mitgekriegt. Die Nachbarn u n ter einem hört man ja fast gar nicht.“
Als alles Wichtige geklärt war, standen Lisa und Fabian auf, die junge Frau brachte sie zur Tür.
„Also, er wurde ermordet, ja?“
„Wahrscheinlich“, sagte Fabian. „Die Todesursache ist noch unklar, aber er wurde hinterher eindeutig bewegt. Vie l leicht ist beim Sex irgendwas furchtbar schiefgelaufen, und sein Partner hat alle Spuren beseitigt. So oder so, wir ermi t teln.“
„Viel Glück.“
Sie gingen wieder nach unten .
„Ich kenne meine Nachbarn kaum“, sagte Fabian. „Der ideale Nachbar ist doch einer, den man jemals weder hört noch sieht. Die war schon schwer verknallt.“
„Ich hatte mal einen Nachbarn, der ein guter Freund war. Bis das ganze dann in eine unschöne Richtung gelaufen ist.“
„Ich erinnere mich dunkel.“
Zwei
Als Lisa und Fabian zurückkamen, wurde der Tote gerade in einem Sack auf einer Bahre abtransportiert. Die Spurens u che war im Groben beendet, letzte Beutel wurden beschriftet und eingepackt, und die Wohnung leerte sich allmählich . Pr o fessor Lamprecht war jedoch noch voll in seinem Element. Er schrie jeden an, machte beleidigende Bemerkungen, beschu l digte andere für seine Darmwinde – er genoss seine Show.
Die beiden Kommissare sahen zu, wie er sich jetzt dem Bettlaken zuwendete, ein Vergrößerungsglas vor der Nase. Und vor den Augen. Seine Assistentinnen standen in gebü h rendem Abstand auf beiden Seiten und harrten geduldig der Dinge. Fabian glaubte, sie waren in Wirklichkeit gar keine Wi s senschaftlerinnen, sondern Katalogbräute. Oder vielleicht K a talogwissenschaftlerinnen.
„Hmmm“, machte Lamprecht gerade ungewöhnlich nac h denklich, „was ist denn das?“
Er schnippte viermal mit den Fingern, und das schien für das Kittelgespenst auf der linken Seite das Signal zu sein, ihm ein e Pinzette zu reichen . Lamprecht tauschte dafür die Lupe ein. Das nächste Schnippen erklang dreimal , und das Wesen auf der anderen Seite gab ihm einen winzig kleinen, flachen Plastikbehälter mit geöffnetem Deckel. Behutsam nahm Lamprecht ein paar kleine Partikel auf und verstaute sie in dem Behälter, den er anschließend verschloss und hochhielt.
„Irgendwas interessantes?“ fragte Fabian so beiläufig
Weitere Kostenlose Bücher