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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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Klang dieses dumpfen Pulsschlags. Er erinnerte sie anheimelnd an die synthetischen Geräusche bei den Eintrachtsandachten und Fordtagsfeiern. »Rutschiputschi«, flüsterte sie vor sich hin.
    Diese Trommeln hier erdröhnten in genau demselben Rhythmus.
    Plötzlich ein überraschendes Anstimmen von Gesang. Hunderte von Männerstimmen schrien wild in rauhem, metallischem
    Chor. Einige langgezogene Töne, dann Schweigen, das
    nachdröhnende Schweigen der Trommeln; dann schrill, in
    wieherndem Sopran, die Antwort der Frauen. Abermals
    Trommelklang; und wieder der Männer tiefe, wilde Bejahung ihres Mannestums.
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    Befremdlich? Ja, die Gegend war befremdlich, ebenso die Musik und die Tracht, die Kröpfe und die Hautkrankheiten und die alten Leute. Aber diese Vorführung selbst an der schien gar nichts Befremdliches zu sein.
    »Es erinnert mich an eine Vereinigungssingerei der niederen Kasten«, bemerkte Lenina zu Sigmund.
    Doch es dauerte nicht lange, da erinnerte es sie schon weit weniger an diese harmlosen Veranstaltungen. Denn aus den runden unterirdischen Kammern schwärmte plötzlich eine gespenstische Schar von Ungeheuern hervor. Gräßlich maskiert oder so stark bemalt, daß alle Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen verschwunden war, stampften sie in sonderbar
    hinkendem Tanz rund um den Platz, immer herum, immer
    herum, sangen und tanzten rascher bei jeder Runde; die
    Trommeln hatten einen neuen,
    schnelleren Rhythmus
    angenommen, der wie Fieberpulsschlag in den Ohren klang; die Zuschauer begannen mit den Tänzern zu singen, lauter und lauter; eine Frau kreischte auf, noch eine und eine dritte, als würden sie umgebracht. Plötzlich sprang der Vortänzer aus dem Kreis, lief zu einer großen Holztruhe am Rand des Platzes, hob den Deckel und zog ein paar schwarze Schlangen hervor.
    Ein gewaltiger Schrei gellte von der Menge auf, und alle Tänzer eilten mit ausgestreckten Händen auf den Mann zu.
    Er warf die Schlangen den Näherkommenden zu, griff wieder in die Truhe, zog noch mehr Schlangen hervor, schwarze und braune und gefleckte, immer mehr, und warf sie unter die Tänzer. Der Tanz begann in anderem Rhythmus von neuem.
    Ringsumher tanzten sie, selber schlangengleich, samt ihren Schlangen, mit weichen Wellenbewegungen der Knie und
    Hüften. Immer herum, immer herum. Der Vortänzer gab ein Zeichen: Eine Schlange nach der anderen wurde in der Mitte des Platzes auf die Erde geworfen. Aus der unterirdischen Tiefe stieg ein alter Mann und bestreute sie mit Maismehl, durch die andere Luke erschien eine Frau und besprengte sie mit Wasser
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    aus einem schwarzen Krug. Dann hob der Greis die Hand, und völlig unvermutet und erschreckend trat lautlose Stille ein. Die Trommeln waren verstummt, alles Leben schien erloschen zu sein. Der Alte wies auf die beiden Luken, die in die Unterwelt führten. Und langsam, von unsichtbaren Armen emporgehoben, entstieg der einen Luke das Bild eines Adlers, der anderen das eines nackten Mannes am Kreuz. Sie schwebten über der
    Menge, scheinbar aus eigener Kraft, gleich Wächtern. Der Alte klatschte in die Hände. Ein Jüngling von etwa achtzehn Jahren, nur mit einem Lendentuch aus weißer Baumwolle bekleidet, trat aus der Menge vor ihn hin, die Arme über der Brust gekreuzt, den Kopf gesenkt. Der Greis machte das Zeichen des Kreuzes über ihn und wandte sich ab.
    Langsam begann der Jüngling den Haufen sich windender
    Schlangen zu umschreiten. Nach der ersten Runde, auf halbem Weg der zweiten, näherte sich ihm aus der Reihe der Tänzer ein hochgewachsener Mann in der Maske eines Präriewolfs, in den Händen eine geknotete Ledergeißel.
    Der Jüngling schritt weiter, als gewahrte er ihn nicht. Der Präriewolf hob die Peitsche; ein langer Augenblick der
    Erwartung, dann eine schnelle Bewegung, der Riemen pfiff durch die Luft und fiel mit einem lauten, satten Klatschen auf die Haut. Ein Zittern durchlief den Jüngling, aber er blieb stumm und ging im gleichen gemessenen Schritt weiter. Der Präriewolf schlug nochmals zu und nochmals; bei jedem Schlag holte die Menge tief Atem, den sie mit einem Stöhnen wieder ausstieß. Der Jüngling schritt weiter.
    Zweimal, dreimal, viermal rundete er den Kreis. Das Blut floß. Fünfmal herum, sechsmal. Plötzlich barg Lenina das Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen. »Oh, sie sollen aufhören, sie sollen aufhören!« flehte sie. Aber die Peitsche fiel unerbittlich, fiel, fiel. Siebente Runde. Auf einmal wankte der Jüngling und

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