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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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pulsieren, zu pulsieren mit der unermüdlichen Bewegung des Bluts. Droben in Malpais wurden die Trommeln gerührt. Die Schritte der beiden paßten sich dem Rhythmus dieses
    geheimnisvollen Herzschlags an; sie gingen rascher. Der Weg führte an den Fuß des Steilhangs. Über ihnen türmten sich die Wände hundert Meter hoch bis zum Deck des großen Mesa-Schiffs.
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    »Schade, daß wir das Flugzeug nicht hier haben!«
    meinte Lenina und starrte verdrossen den glatten,
    regungslosen Steinleib an. »Ich hasse Gehen. Und man kommt sich am Fuß eines Berges so klein vor.«
    Der Weg zog sich ein Stück im Schatten der Mesa hin, bog um einen Felsvorsprung, und hier, in einer vo m Regen
    ausgewaschenen Schlucht, führte das steinerne Fallreep hinauf.
    Sie erkletterten es. Der Pfad war ausnehmend steil und lief im Zickzack von einer Wand der Schlucht zur anderen. Manchmal waren die Trommeln kaum noch zu vernehmen, manchmal
    schienen sie hinter der nächsten Biegung zu dröhnen.
    Auf halbem Weg flog ein Adler so dicht an ihnen vorbei, daß sein Schwingenschlag ihnen kühl ins Gesicht wehte.
    In einem Felsspalt lag ein Haufen Knochen. Das alles war niederdrückend merkwürdig, und der Indianer stank immer stärker. Endlich gelangten sie aus der Schlucht ins volle Sonnenlicht. Die Hochfläche der Mesa glich einem Verdeck aus Stein.
    »Sieht aus wie der Flugturm von Tempelhof«, fand Lenina.
    Aber nicht lange sollte sie sich über diese Entdeckung einer beruhigenden Ähnlichkeit freuen. Ein weiches Tappen von
    Schritten ließ sie sich umwenden. Zwei Indianer, nackt vom Hals bis zum Nabel, die dunkelbraunen Leiber mit weißen Linien bemalt - »wie asphaltierte Tennisplätze«, beschrieb Lenina sie später -, die Gesichter unmenschlich entstellt durch dick aufgetragenes Scharlachrot, Schwarz und Ocker, kamen den Pfad herangelaufen.
    In ihr schwarzes Haar waren Fuchspelz und rote Stoffetzen eingeflochten. Behänge aus Truthahnfedern flatterten um ihre Schultern, hohe Federkronen explodierten in grellen Farben um ihre Köpfe. Bei jedem Schritt klirrten und rasselten ihre silbernen Armbänder und ihre schweren Halsketten aus
    Knochen und Türkisen. Ohne ein Wort liefen sie lautlos in ihren
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    Fellmokassins dahin. Einer hielt ein Büschel Federn, der andere trug in jeder Hand etwas, das von fern drei, vier dicken Seilenden glich. Eines der Seile wand sich unruhig hin und her, und plötzlich erkannte Lenina, daß es Schlangen waren.
    Immer näher kamen die beiden Männer. Ihre dunklen Auge n waren auf Lenina gerichtet, aber nicht das geringste Anzeichen deutete darauf, daß sie sie überhaupt wahrnahmen. Die
    Schlange, die sich eben noch gewunden hatte, hing nun schlaff mit den anderen herab. Sie eilten vorüber.
    »Das gefällt mir nicht«, sagte Lenina. »Aber schon gar nicht!«
    Noch weit weniger gefiel ihr, was sie am Eingang des Pueblo sah, während sie auf den Führer warteten, der hineingegangen war, um weitere Weisungen einzuholen. Vor allem der Schmutz, und dann die Abfallhaufen, der Staub, die Köter, die Fliegen. Ihr Gesicht verzog sich vor Ekel, sie hielt das Taschentuch vor die Nase.
    »Wie kann man nur so leben?« rief sie in ungläubiger
    Entrüstung aus. Es war einfach undenkbar!
    Sigmund zuckte philosophisch die Achseln. »Jedenfalls leben sie seit fünf- oder sechstausend Jahren so und werden sich wohl inzwischen daran gewöhnt haben.«
    »Wo die Reinlichkeit am größten, ist Fords Hilfe am
    nächsten«, beharrte sie.
    »Stimmt, und ›Je zivilisierter, desto sterilisierter«, ergänzte Sigmund spöttisch die zweite Schlafschullektion aus dem Abc der Hygiene. »Aber diese Leute haben nie von Ford dem Herrn gehört und sind nicht zivilisiert. Es hat also gar keinen Sinn -«
    »Oh!« Sie packte ihn am Arm. »Sieh nur!«
    Ein fast nackter Indianer klomm ganz langsam über eine
    Leiter von der im ersten Stock liegenden Terrasse eines nahen Hauses herab, Sprosse nach Sprosse, mit der zitternden Vorsicht hohen Alters. Sein Gesicht war über und über voll Runzeln und
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    schwarz wie eine Maske aus Obsidian. Der zahnlose Mund war eingefallen. In den Mundwinkeln und am Kinn schimmerten ein paar lange Borsten fast weiß auf der dunklen Haut. Das lange offene Haar hing in grauen Strähnen um sein Gesicht. Sein Leib war krumm und bis auf die Knochen ausgemergelt, fast
    fleischlos.
    Ganz langsam stieg er herab, hielt auf jeder Sprosse inne, bevor er den nächsten Schritt wagte.
    »Was ist mit ihm los?« flüsterte

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