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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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Filine stammte aus der Anderen Welt; sie war lange vor seiner Geburt mit einem Mann
    hierhergekommen, der sein Vater war.
    Sigmund spitzte die Ohren.
    Sie hatte allein einen Spaziergang in den Bergen dort oben im Norden unternommen, war an einer steilen Stelle abgestürzt und hatte sich am Kopf verletzt.
    »Weiter, weiter!« drängte Sigmund erregt.
    Jäger aus Malpais hatten sie gefunden und in den Pueblo
    gebracht. Den Mann, der sein Vater war, hatte Filine niemals wiedergesehen. Er hieß Tomakin.
    Es stimmte! Thomas war der Vorname des BUND!
    Er war wohl ohne sie in die Andere Welt zurückgeflogen, der böse, lieblose, abscheuliche Mann.
    »Und so kam ich in Malpais zur Welt«, schloß er. »In
    Malpais«, und er schüttelte den Kopf.
    Diese schmutzstarrende Hütte am Rande des Pueblo!
    Eine Zone von Staub und Abfällen trennte sie vom Dorf.
    -123-

    Zwei ausgehungerte Köter schnüffelten schamlos im Unrat
    vor der Schwelle. Als die drei eintraten, stank ihnen
    fliegendurchsummte Dämmerung entgegen.
    »Filine!« rief der junge Mann.
    »Komme schon«, erwiderte von drinnen eine rauhe
    Frauenstimme.
    Sie warteten. Auf der Erde standen Näpfe mit den Überresten einer oder auch mehrerer Mahlzeiten.
    Die Tür ging auf. Eine äußerst dicke blonde Squaw trat über die Schwelle und blieb beim Anblick der Fremden mit offenem Mund stehen, als traute sie ihren Augen nicht. Lenina bemerkte angeekelt, daß ihr zwei Vorderzähne fehlten.
    Und die Farbe der übriggebliebenen Zähne... Sie schauderte.
    Das war noch ärger als der alte Mann. So dick, und die Falten in ihrem Gesicht, die Schwammigkeit, die Runzeln!
    Und die schlaffen Wangen mit den dunkelroten Flecken, die roten Äderchen in ihrer Nase, die blutunterlaufenen Augen! Und der Hals, der Hals! Und die zerrissene, schmutzige Decke, die sie über den Kopf gezogen hatte! Und unter diesem braunen, kartoffelsackartigen Kittel die riesigen Brüste, der vorgewölbte Bauch, die Hüften! Oh, tausendmal ärger als der alte Mann!
    Plötzlich brach die Person in eine Flut von Worten aus, eilte Lenina mit ausgestreckten Armen entgegen und - allmächtiger Ford! wie ekelhaft, gleich wird ihr übel werden! - drückte sie an diese Wölbung, diesen Busen und begann sie abzuküssen. Ford!
    Sie küßte sabbernd und roch so grauenhaft,
    nahm
    augenscheinlich nie ein Bad und stank nach dem ekelhaften Zeug, das man in die Delta- und Epsilon-Flaschen tat - nein, das Gerücht über Sigmund war eine Lüge! -, stank buchstäblich nach Alkohol. Lenina machte sich so rasch wie möglich los.
    Ein verheultes, entstelltes Gesicht starrte sie an. Die Person weinte.
    -124-

    »O meine Liebe, meine Liebe!« Die Worte sprudelten unter Schluchzen hervor. »Wenn Sie wüßten, wie froh - nach so vielen Jahren! Endlich ein zivilisiertes Gesicht. Und zivilisierte Kleider. Ich dachte schon, daß ich nie wieder im Leben ein Stück echte Azetatseide sehen würde!« Sie befühlte Leninas Blusenärmel. Ihre Fingernägel waren kohlschwarz. »Und diese hinreißenden Viskosesamthosen!
    Wissen Sie, meine Liebe, ich habe noch meine alten Kleider, in denen ich hierherkam; habe sie in einer Truhe aufbewahrt.
    Später werde ich sie Ihnen zeigen. Natürlich hat der Azetatstoff schon überall Löcher. Und einen reizenden weißen
    Patronengürtel habe ich auch noch - aber Ihr grüner aus Saffianersatz ist wirklich noch hübscher. Mir hat mein Gürtel freilich nicht viel genützt!« Ihre Tränen strömten von neuem.
    »Michel wird Ihnen ja schon alles erzählt haben. Was ich leiden mußte - und kein Gramm Soma weit und breit. Nur dann und wann ein Schluck Mescal, wenn Pope welches brachte. Pope war einer meiner Freunde. Aber man fühlt sich gar nicht wohl danach, nach Mescal, meine ich, und vom Peyotl wird einem übel.
    Und dieses schreckliche Schamgefühl war am nächsten Tag
    nur noch ärger als zuvor. Ich schämte mich ja so! Bedenken Sie nur: Ich, eine Beta, hatte ein Kind. Versetzen Sie sich in meine Lage!« (Die bloße Andeutung machte Lenina schaudern.)
    »Obgleich ich beschwören kann, daß es nicht meine Schuld war.
    Ich weiß es ja noch immer nicht, wie es kam, ich habe doch den ganzen Malthusdrill mitgemacht - Sie wissen doch, wo ein, zwei, drei, vier gezählt wird -, den ganzen Kurs, ich schwöre es.
    Trotzdem ist das Malheur passiert,
    und hier gibt's
    selbstverständlich keine Abtreibungsklinik oder dergleichen.
    Übrigens, ist die noch immer in Sanssouci?« fragte sie. Lenina nickte. »Und noch immer jeden

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