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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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stürzte lautlos aufs Gesicht. Der Greis beugte sich über ihn und berührte seinen Rücken mit einer
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    weißen Feder, hielt sie, die nun blutrot war, einen Augenblick in die Höhe, damit die Menge sie sehen konnte, und schwenkte sie dreimal über den Schlangen. Ein paar rote Tropfen fielen nieder, und plötzlich brachen die Trommeln wieder in Panik aus, die Töne überstürzten sich, und allgemeines gewaltiges Geschrei setzte ein. Die Tänzer stürmten vor, ergriffen die Schlangen und flohen vom Dorfplatz. Die Männer, Frauen und Kinder, alle liefen ihnen nach, und eine Minute später war der Platz leer.
    Nur der Jüngling lag hingestreckt, wo er gestürzt war, und rührte sich nicht. Drei alte Weiber kamen aus einem Haus, hoben ihn nicht ohne Mühe auf und trugen ihn hinein. Der Adler und der Mann am Kreuz hielten noch ein wenig Wache über
    dem menschenleeren Pueblo. Dann, als hätten sie genug
    gesehen, sanken sie langsam durch die Luken zurück in die Unterwelt.
    Lenina schluchzte noch immer. »Unerträglich grauenhaft«, wiederholte sie immer wieder auf Sigmunds vergebliche
    Beruhigungsversuche. »Unerträglich grauenhaft!
    Dieses Blut!« Sie schauderte. »Oh, wenn ich nur mein Soma hier hätte.«
    In dem Raum hinter ihnen ertönten Schritte.
    Lenina rührte sich nicht und blieb sitzen, das Gesicht in den Händen verborgen, ohne einen Blick für die Umgebung. Nur Sigmund wandte sich um.
    Der junge Mann, der die Terrasse betrat, war indianisch gekleidet, aber sein geflochtenes Haar war strohblond, seine Augen blaßblau und seine Haut die eines Weißen, jedoch tief gebräunt.
    »Hallo, guten Tag«, sagte der Fremde mit tadelloser, wenn auch eigenartiger Aussprache. »Sie sind Zivilisierte?
    Sie kommen von der Anderen Welt außerhalb der
    Reservation?«
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    »Wer, zum Bokanowsky -?« begann Sigmund erstaunt.
    Der junge Mann schüttelte mit einem Seufzer den Kopf.
    »Ein höchst bedauernswerter junger Herr«, sagte er und wies auf die Blutlache inmitten des Platzes. »Sehen Sie diesen verdammten Fleck?« fragte er, bebend vor Mitgefühl. »Ein Gramm versuchen, ist besser als fluchen«, sagte Lenina automatisch hinter den vors Gesicht geschlagenen Händen.
    »Wenn ich nur mein Soma hätte!«
    »Ich hätte an seiner Stelle sein sollen«, fuhr der junge Mann fort. »Warum haben sie mich nicht zum Opfer zugelassen?
    Zehnmal wäre ich herumgegangen, zwölf-, fünfzehnmal.
    Palautiwa brachte es nur auf siebenmal. Ich hätte ihnen doppelt soviel Blut gegeben - mit Purpur die unermeßlichen Gewässer färben können!« Er breitete schwärmerisch die Arme aus und ließ sie dann verzweifelt fallen.
    »Aber sie duldeten mich nicht. Sie mögen mich nicht - meiner Hautfarbe wegen. Immer ist es mir so ergangen.
    Immer!« Tränen standen in seinen Augen, tiefbeschämt
    wandte er sich ab.
    Vor Staunen vergaß Lenina, daß sie kein Soma bei sich hatte.
    Sie nahm die Hände vom Gesicht und sah zum ersten Mal den Fremden an. »Wollen Sie allen Ernstes sagen, daß Sie mit der Peitsche geschlagen werden wollten?«
    Noch immer abgewandt, nickte der junge Mann. »Zum Heil
    des Pueblo, damit der Regen fällt und der Mais wächst.
    Und zu Ehren Pukongs und Jesu. Und damit man sieht, daß ich Schmerz ertragen kann, ohne zu schreien. Jawohl«, seine Stimme tönte auf einmal voller, er wandte sich den beiden mit stolzem Straffen der Schultern wieder zu, das Kinn
    herausfordernd gehoben, »damit man sieht, daß ich ein Mann bin... Oh!« Er zog scharf die Luft ein und verstummte. Zum ersten Mal in seinem Leben erblickte er ein Mädchen, dessen Wangen nicht die Farbe von Schokolade oder Hundeleder
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    hatten, dessen Haar rotblond und dauergewellt war und das ihn -
    nie gekanntes Wunder! - mit wohlwollender Teilnahme
    betrachtete. Lenina lächelte ihn an. So ein netter Junge, dachte sie, und wirklich gut gebaut.
    Dem jungen Mann schoß das Blut ins Gesicht, er schlug die Augen nieder, hob für eine Sekunde wieder den Blick, und da sie ihn noch immer anlächelte, war er so überwältigt, daß er sich abwenden mußte; er tat, als betrachtete er angestrengt etwas auf der anderen Seite des Platzes.
    Sigmunds Fragen boten Ablenkung. Wer, wieso, wann,
    woher? Den Blick auf Sigmund geheftet - weil er sich so sehr nach Leninas Lächeln sehnte, daß er sie nicht anzusehen wagte -
    , versuchte der junge Mann, seine Herkunft zu erklären. Er und Filine, seine Mutter - Lenina guckte peinlich berührt -, waren Fremde in der Reservation.

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