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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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straft und belohnt?«
    »Muß es?« fragte der Aufsichtsrat zurück. »Sie können sich allen erdenklichen Lüsten mit einer Empfängnisfreien hingeben, ohne Gefahr zu laufen, daß Ihnen die Augen von der Geliebten Ihres Sohnes ausgekratzt werden. ›Ganz schlug das Rad den Kreis; ich unterliege.‹ Aber wo läge Edmund heute? In einem pneumatischen Fauteuil, den Arm um die Taille eines
    Mädchens, während er Sexualhormonkaugummi kaut und einen Fühlfilm ansieht. Die Götter sind gerecht. Ohne Zweifel! Aber ihr Gesetzbuch is t letztlich von den Organisatoren der
    menschlichen Gesellschaft diktiert. Die Vorsehung läßt sich von den Menschen soufflieren.«
    »Sind Sie dessen gewiß?« fragte der Wilde. »Sind Sie
    wirklich so sicher, daß Edmund im pneumatischen Sessel nicht ebenso schwer gestraft ist wie der an seinen Wunden
    verblutende Edmund? Die Götter sind gerecht.
    Haben sie nicht seine Lüste als Werkzeug benutzt, um ihn zu erniedrigen?«
    -237-

    »Von welcher Höhe zu erniedrigen? Als glücklicher, fleißiger, konsumierender Staatsbürger ist er vollkommen. Freilich, wenn Sie von einem anderen Ideal ausgehen, können Sie natürlich behaupten, er sei erniedrigt.
    Aber Sie müssen bei bestimmten Voraussetzungen bleiben.
    Man kann nicht elektromagnetisches Golf nach den Regeln für Zentrifugalbrummball spielen.«
    »Doch nicht des einzelnen Willkür gibt den Wert«, entgegnete der Wilde. »Er hat Gehalt und Würdigkeit sowohl in
    eigentümlich innerer Kostbarkeit als in dem Schätzer.«
    »Aber, aber«, widersprach Mustafa Mannesmann.
    »Heißt das nicht, die Sache zu weit treiben?«
    »Wenn ihr euch an Gott denken ließet, ließet ihr euch nicht durch angenehme Laster erniedrigen. Ihr hättet Grund, alles geduldig zu ertragen und mutige Taten zu vollbringen. Ich habe es bei den Indianern gesehen.«
    »Das kann ich mir denken«, sagte der Aufsichtsrat.
    »Aber wir sind keine Indianer. Für einen zivilisierten
    Menschen besteht nicht der geringste Grund, irgend etwas ernstlich Unangenehmes zu erdulden. Und mutige Taten Ford verhüte, daß ihm ein solcher Gedanke in den Sinn kommt! Es würfe die ganze Gesellschaftsordnung über den Haufen, wenn die Menschen auf eigene Faust zu handeln begännen.«
    »Und wie steht es mit der Selbstverleugnung? Wenn ihr einen Gott hättet,
    wäre das für euch ein Grund zur
    Selbstverleugnung.«
    »Industrielle Zivilisation is t nur ohne Selbstverleugnung möglich. Selbstbefriedigung bis an die äußersten Grenzen, die Volksgesundheit und Volkswirtschaft gesetzt sind. Sonst stehen die Räder still.«
    »Ihr hättet Grund zur Keuschheit!« fuhr der Wilde fort und errötete ein wenig bei diesem Wort.
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    »Keuschheit bedeutet Leidenschaft. Keuschheit bedeutet
    Neurasthenie. Und Leidenschaft und Neurasthenie bedeuten Unbeständigkeit. Unbeständigkeit aber bedeutet das Ende der Zivilisation. Keine dauerhafte Zivilisation ohne eine Menge angenehmer Lüste.«
    »Gott ist der Grund alles Edlen und Erhabenen und
    Heroischen. Wenn ihr einen Gott hättet -«
    »Mein lieber junger Freund«, sagte Mustafa Mannesmann.
    »Die Zivilisation hat nicht den geringsten Bedarf an Edelmut oder Heldentum. Derlei Dinge sind Merkmale politischer
    Untüchtigkeit. In einer wohlgeordneten Gesellschaft wie der unseren findet niemand Gelegenheit zu Edelmut und
    Heldentum. Solche Gelegenheiten ergeben sich nur in ganz ungefestigten Verhältnissen. Wo es Kriege gibt,
    Gewissenskonflikte, Versuchungen, denen man widerstehen, und Liebe, die man erkämpfen oder verteidigen muß - dort haben Heldentum und Edelmut selbstverständlich einen
    gewissen Sinn. Aber heutzutage gibt es keine Kriege mehr. Mit größter Sorgfalt verhindern wir, daß ein Mensch den anderen zu sehr liebt. Und so etwas wie Gewissenskonflikte gibt es auch nicht: Man wird so genormt, daß man nichts anderes tun kann, als was man tun soll. Und was man tun soll, ist im allgemeinen so angenehm und gewährt den natürlichen Trieben so viel
    Spielraum, daß es auch keine Versuchungen mehr gibt. Sollte sich durch einen unglücklichen Zufall wirklich einmal etwas Unangenehmes ereignen, nun denn, dann gibt es Soma, um sich von der Wirklichkeit zu beurlauben. Immer ist Soma zur Hand, um Ärger zu besänftigen, einen mit seinen Feinden zu
    versöhnen, Geduld und Langmut zu verleihen. Früher konnte man das alles nur durch große Willensanstrengung und nach jahrelanger harter Charakterbildung erreichen. Heute schluckt man zwei, drei

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