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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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nebeneinander standen? Auf diese Weise lernt das Kind Deutsch, vermute ich. Intuitiv fühlt der kleine Mann, was ihm für seine Zukunft nützlich sein wird. Auch meine dreijährige Tochter Nicole trainiert ständig ihre Aussprache. Sie kann bisher nur einen Satz auf Deutsch, den aber perfekt: »Wie heißt du?« Jedes Mal, wenn mein Kollege Helmut Höge zu uns kommt, rennt sie zur Tür, um ihn »Wie heißt du, Helmut?« zu fragen.
    Für viele Phänomene, die in Berlin zu unserem Alltag gehören, gibt es auf Russisch schlicht keine Begriffe. Deswegen haben sich inzwischen solche deutschen Wörter wie »Gerichtsvollzieher«, »Terminkalender« und »Überweisungsauftrag« fest in unserem Russisch etabliert.
    Meine Frau lernte Deutsch in einer brasilianischen Kneipe in der Sredzkistraße, wo sie als Tresenkraft ihre erste Anstellung bekommen hatte. Die ersten Wörter, die sie dort lernte, waren »Wichser« und »Alles Banane«. Mit einem Wort: typische Kneipenausdrücke. Inzwischen beherrscht sie sogar die feinen Nuancen der Sprache und sagt niemals wie früher »Haarbrüste« sondern richtig »Haarbürste«. Auch ich arbeite ständig an der Verbesserung meiner Sprachkenntnisse. Ich esse keine Wörterbücher, das habe ich nicht nötig, aber ich versuche immer wieder, den so genannten Wortmüll aus meiner Sprache zu streichen. Ich habe Deutsch auch nicht an der Uni, sondern mehr auf der Straße und vor dem Fernseher gelernt und muss deswegen tierisch aufpassen. Damals hatte ich noch keinen Kabelanschluss und konnte nur die seriösen Programme empfangen, in denen oft politische Diskussionen übertragen wurden. Das hat in gewisser Weise meine Sprachkenntnisse geprägt. Doch langsam befreie ich meine Sprache von diesem Müll. »Von der Sache her«, ist schon längst weg, ebenso »ich persönlich bin der Meinung«. Mit »sozusagen« werde ich auch noch fertig, weil meine Frau das Wort entsetzlich findet und mich immer wieder darauf aufmerksam macht.
    Ich persönlich halte den Ausdruck »Ich muss nicht erst betonen« für den schlimmsten. Erst einmal finde ich das Wort »betonen« ekelhaft. Zweitens ist diese Redewendung sehr widersprüchlich. Wenn man etwas »betonen« muss, dann betont man es eben, oder man lässt ganz einfach die Finger davon. Aber irgendetwas zu beschreiben, was man mit Absicht nicht tun würde, weil man es überflüssig findet, ist grober Unsinn. Ich muss nicht betonen, wie oft ich diese blöde Redewendung schon im Fernsehen gehört habe. Und irgendwann hat es mich angesteckt. Das ist wie mit dem Rauchen – anzufangen ist ganz leicht, aufhören kostet Mühe. Ich muss nicht betonen, wie stark solche Sprüche meine Integration beeinflussen. Aber von der Sache her sind in der letzten Zeit in unserer Kleinfamilie große Fortschritte auf diesem Gebiet nicht zu übersehen, und einen Kabelanschluss haben wir, wie erwähnt, auch bereits. Ich muss also nicht extra betonen, dass Integration für uns kein Wortmüll ist.

Das Wasserbett
    Dreimal versuchte unsere Freundin Marina eine eheähnliche Beziehung mit einem Landsmann aufzubauen. Alle drei Kandidaten schienen richtig in sie verliebt und auch opferbereit zu sein, doch jedes Mal scheiterte Marinas Vorhaben. Die Russen waren enttäuschend: »Sie fangen schnell Feuer, doch noch schneller brennen sie durch«, meinte Marina. Der letzte Russe, den sie übrigens auf unserer Veranstaltung »Russendisko – zum Tag des Sieges« am 9. Mai kennen gelernt hatte, wirkte sehr solide. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der deutsches Schweinefleisch in Rindfleischdosen nach Mittelasien verkaufte. Auf diese Weise rettete er dort viele Moslems vor dem Hungertod, ohne sie in die Sünde zu treiben, und gleichzeitig bereicherte er sich. Der Geschäftsmann litt jedoch unter Einsamkeit. Als er Marina erblickte, wie sie sich mit ihren blonden Haaren auf dem Parkett des
Kaffee Burger
drehte, verschlug es ihm zunächst die Sprache. Er hielte sich an seiner Bierflasche fest und durchbohrte Marina mit begeisterten Blicken. Es war Liebe auf den ersten Blick. Kurz vor Sonnenaufgang kamen sie ins Gespräch: Marina erzählte ihm, wie schwer ihr Leben sei, dass sie im Architekturbüro, in dem sie arbeitete, noch immer keinen anständigen Vertrag habe, dass ihre vierzehnjährige Tochter sich von ihr nichts mehr sagen ließe, und dass ihre neue Wohnung in Charlottenburg dringend renoviert werden müsste.
    Schon am nächsten Tag stand der Geschäftsmann vor ihrer Tür und machte sich

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