Schoenhauser Allee
einige wertvolle Gegenstände erleichtert hatte.
Seine Enkel bestanden bei dem Bild nun auf absoluter Ähnlichkeit. Es sollte ein hyperrealistisches Porträt werden. Keine Flossen, keine Kiemen, sondern nur der Opa samt all seiner Orden. »Ich weiß nicht«, sagte der Bildhauer, »die absolute Ähnlichkeit kann ich nicht garantieren.«
»Musst du aber«, warnten ihn die georgischen Brüder, »sonst reißen wir dir den Kopf ab.« Einen Monat lang quälte sich Iwanow mit dem Foto herum, besonders schwer fiel ihm das Gesicht und die rechte Hand, die auf dem Foto in der Luft hing, so als ob der Opa gerade jemanden grüßen würde. Der Bildhauer stand kurz vor der Verzweiflung, den Vorschuss hatte er längst ausgegeben, ein Rückfall in den Suff kam nicht in Frage. Aber der Alte wollte und wollte seinem Foto einfach nicht ähnlich werden. Eines Tages kam Iwanow auf eine tolle Idee: Er vergrößerte das Foto im Copyshop auf DIN-A1, schnitt den Opa raus und klebte ihn auf die Leinwand. Danach übermalte er das Foto mit verschiedenen Aquarellfarben, bis es wie ein Gemälde aussah. Die Brüder konnten ihm nichts vorwerfen, die Ähnlichkeit war geradezu verblüffend. Sie hängten das große Bild gleich in ihrem thailändischen Imbiss an die Wand. Von lauter kleinen Fischen umgeben sah der Kriegsheld nun noch erhabener aus und passte perfekt zu dem ganzen Design. Das Bild wurde bei den Imbissgästen schnell populär. Sie gaben ihm mehrere Titel: »Der Angler und seine Beute«, »König der Fische«, und »Neptun in Rente.« Iwanows Lust, die Bewohner des Meeres zu porträtieren, erlosch jedoch bald. Er wurde Vegetarier und hörte schließlich sogar mit dem Rauchen auf.
Komm in den Kindergarten
Die Leiterin der »Bambini-Oase« benahm sich sehr merkwürdig. Sie sprang in ihrem Büro von einer Ecke in die andere und kratzte sich ständig den Rücken. Ihre Brille saß schräg auf dem Kopf und drohte jede Sekunde herunterzufallen. »Sie müssen mich am Telefon missverstanden haben«, sagte die Kita-Leiterin zu uns, »ich hatte nie irgendwelche Plätze frei. Ich werde auch in Zukunft...« Sie machte einen Sprung nach vorn und landete direkt vor uns: »...keine neuen Kinder aufnehmen. Auf Wiedersehen!« Letzteres schrie sie fast, während sie aus ihrem Büro lief. Meine Tochter Nicole und ich gingen ebenfalls an die frische Luft.
»Man hat mich im Kindergarten nicht genommen. Wie soll ich nun weiterleben?«, fragte Nicole und war ganz traurig. Zu Hause nahm ich erneut die Broschüre »Was ist wo im Prenzlauer Berg« in die Hand: »Wir kriegen das schon hin, es gibt doch noch zwei Dutzend weitere Kindergärten rund um die Schönhauser Allee, es muss ja nicht unbedingt die ‘Bambini-Oase’ sein. Wie wäre es zum Beispiel mit der ‘Kleinen Flohkiste’ oder dem ‘Wirbelwind’?«
Ich telefonierte mit allen. Am Ende hatte ich eine klare Absage von zehn Einrichtungen, die leise Hoffnung, dass meine Tochter in die Kita-»Räuberbande« durfte, jedoch erst ab Oktober, und eine feste Zusage von den »Frechen Früchtchen«: Sie stünden uns ab sofort zur Verfügung. Die Tatsache, dass meine Tochter noch kein Deutsch sprach, schreckte die Erzieherinnen nicht ab. Sie konnten sogar alle »Guten Tag« und »Wie heißt du« auf Russisch sagen. So ein Zufall! Genau diese zwei Sätze konnte Nicole auch auf Deutsch. Doch die Mannschaft von den »Frechen Früchtchen« schien sehr lieb zu sein. Irgendwie wird es schon klappen, dachte ich.
»Sie müssen aber um neun kommen. Sonst verpassen Sie unser ganzes Lehrprogramm«, sagte die Leiterin der »Frechen Früchtchen« zu mir.
»Was gibt es denn um neun?«, fragte ich sie.
»Zwischen neun und zehn singen wir mit den Kindern zusammen, spielen auf verschiedenen Musikinstrumenten, lernen neue Gedichte und tanzen herum.«
Interessant, dachte ich, wie klug unsere Gesellschaft organisiert ist. Die Kinder treiben zwischen neun und zehn genau das, womit die Eltern sich erst nach Mitternacht beschäftigen können. Dadurch wird erreicht, dass die Generationen einander bei ihrem Spaß niemals zu sehen kriegen, und er ihnen so für immer ein Geheimnis bleibt.
»Danach geht die ganze Bande auf den Spielplatz, dann ist Mittag und anschließend Schlafenszeit«, fügte die Leiterin hinzu. »Also kommen Sie doch etwas früher.«
Am nächsten Tag waren wir pünktlich um neun zur Stelle. Die frechen Früchtchen saßen auf dem Teppich in einem großen Raum und lernten ein neues Lied:
Schlaf mein Kleiner,
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