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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Ende April waren die Menschen in Sibirien schon immer gespannt – alles dreht sich nur noch um das eine: Kommt nun der Sommer oder nicht?
    Sollte dies der Fall sein und der Sommer wirklich kommen, dann wird der General sagen: »Seht ihr, das ist für mich nicht leicht gewesen, aber was tut man nicht alles für sein Volk«. Wenn aber der Sommer dieses Jahr Sibirien meidet, wird der General sagen: »Die Kräfte der Natur sind stärker als die Gesetze der Wirtschaft und der Politik, wir müssen vor diesen Kräften den Hut ziehen.« Er ist ein weitsichtiger Politiker.
    Lebed hat +4 Dioptrien. Doch eine Brille zu tragen, kommt für den General nicht in Frage, und Kontaktlinsen halten in der sibirischen Kälte nicht lange. Deswegen hat er sich in seinen BMW +4-Dioptrien-Glasscheiben einbauen lassen. Ein Bekannter meines Vaters, ein Offizier, der einmal im Auto des Generals saß, erzählte: Für einen Menschen mit normaler Sehkraft ist das derart unerträglich, dass er schon nach zehn Minuten kotzen muss. Ein Glück, dass ich nicht in Sibirien lebe! Bei uns in der Schönhauser Allee ist das ganze Jahr über schönes Wetter angesagt, die vielen Autos, die Tag und Nacht auf der Allee fahren, erhöhen die Außentemperatur erheblich, und die U-Bahnen bremsen den Wind. Und auch sonst ist hier einiges anders als in Sibirien. An jeder Ecke werden bei uns Kuchen gebacken und verkauft, im »Ostrowski« sogar am Sonntag, und nachts kann man sich im Burger King schräg gegenüber von unserem Haus ernähren. Dieses Gefühl kennt man in Sibirien gar nicht: Plötzlich wachst du um drei Uhr nachts mit einem Hungergefühl auf und gehst einfach auf einen Snack rüber ins Schnellrestaurant.
    Die ganze Brigade stand vor der Tür, als ich letzte Nacht dort aufkreuzte: »Guten Morgen, möchten Sie vielleicht ein paar Cheeseburger kaufen, ganz frisch, zum halben Preis? Oder fünf Stück für fünf Mark, was halten Sie davon?« Ich wurde angesichts solch ungewöhnlich hoher Aufmerksamkeit verlegen. Der King macht doch sonst nie Sonderangebote. Vielleicht hielten sie mich für einen anderen. »Wieso?«, fragte ich, »was ist denn los?«
    »Eine typische Geschichte für diese Gegend, eigentlich nichts Besonderes, aber ich erzähle sie Ihnen, damit Sie sich nicht verarscht fühlen«, sagte die Chefin. »Die Burger sind nämlich wirklich frisch. Vor einer halben Stunde riefen uns irgendwelche Jungs an und bestellten 100 Cheeseburger für eine Party. Kurz vor Ihnen kamen sie, um alles abzuholen und wollten mit einem falschen 500-DM-Schein zahlen, da habe ich sie wieder weggeschickt.«
    »Na gut«, sagte ich. »Fünf Cheeseburger zum Mitnehmen, aber bitte ohne Käse, den mag ich nämlich nicht.«
    »Den Käse machen wir Ihnen gerne weg«, freute sich die Brigade.

Ein Stern namens Larissa
    Das Leben auf der Schönhauser Allee gleicht oft einem Film, einer Gegenwartsfiktion mit großen Produktionskosten und unzähligen Statisten. Kaum geht man aus dem Haus, schon steckt man in einer aufregenden Episode: die Flugzeuge, Straßenbahnen, Züge, Autos und Radfahrer sorgen für große Turbulenzen und verschaffen einem so die Illusion ewiger Bewegung. Alles dreht sich um dich. Auch viele Liebesgeschichten, die sich in unserer Gegend abspielen, haben inzwischen etwas Cinematographisches an sich. Zum Beispiel die von Erik und Larissa.
    Erik ist Besitzer des Spielsalons »Pure Freude« und stammt ursprünglich aus Baku. Er entwickelte sich erst in Deutschland zu einem Spielkasinobesitzer, in seinem früheren Leben war er Musiker und spielte Heavymetal. Seine Band hieß»Black Town«, und war vor zehn Jahren die erste und anscheinend auch die letzte Heavymetal Band der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku.
    Damals hatte Erik kein Geld, dafür aber lange Haare und viele Freunde. An jedem Wochenende spielte »Black Town« ihren Heavymetal im Restaurant »Ölarbeiter« auf dem Lenin-Boulevard und hatte sogar schon fast einen Plattenvertrag in Saudi-Arabien in der Tasche, da brach plötzlich ein großes Massaker in der Stadt aus: Die Perser gingen auf die Armenier los, und Erik, als Armenier, musste über Nacht abtauchen. Irgendwie gelangte er dann nach Deutschland –»mit dem Zug«, wie er selbst erzählte. Drei Jahre spielte er danach in Deutschland auf der Straße Geige, ohne jegliche Perspektive. Bis er endlich politisches Asyl bekam, sich die Haare schnitt und zum Besitzer eines Spielkasinos wurde. Das Geld dafür liehen ihm ein paar reiche Armenier, und seine

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