Schönheit der toten Mädchen
sich abmühen, aber die geschickten, talentierten Finger verstanden ihre Sache. Das Schloß schnappte auf, die Tür knarrte, und schon war der Dekorateur in der dunklen Diele.
Er mußte nicht warten, bis sich die Augen an die Finsternis gewöhnten, die machte ihm nichts aus. Er ging rasch durch die dunklen Zimmer.
Im Salon eine Schrecksekunde: ohrenbetäubendes Geläut einer riesigen Uhr in Form des Londoner Big Ben. War es denn schon so spät? Der Dekorateur blickte verwirrt auf seine Damenuhr – nein, Big Ben ging vor. Es war erst dreiviertel.
Er mußte den Platz auswählen für das Ritual.
Der Dekorateur war heute in Hochform, ihn trugen die Flügel der Inspiration. Vielleicht gleich hier im Salon, auf dem Eßtisch?
Soll es so sein: Herr Fandorin kommt von dort, aus der Diele, schaltet das elektrische Licht an und sieht das entzückende Bild.
Beschlossen. Wo sind die Tischdecken?
Er wühlte in dem Wäscheschrank, nahm eine schneeweiße Spitzendecke heraus und legte sie auf den großen, matt schimmernden polierten Tisch.
Ja, das wird schön. In der Anrichte scheint ein Service aus Meißner Porzellan zu sein. Die Teller am Tischrand verteilen, im Kreis, und darauf später die herausgeschnittenen Schätze legen. Das wird die beste seiner Schöpfungen.
So, für die Dekoration war gesorgt.
Der Dekorateur ging in die Diele, stellte sich ans Fensterund wartete. Vorfreude und heilige Begeisterung erfüllten seine Seele.
Im Hof wurde es plötzlich hell, der Mond war hervorgekommen. Ein Zeichen, ein deutliches Zeichen! So viele Wochen war es trüb und bewölkt, aber nun ist der Schleier von Gottes Welt weggerissen. Was für ein klarer Sternenhimmel! Wahrlich ein Lichter Sonntag. Der Dekorateur machte dreimal das Kreuzeszeichen.
Sie ist gekommen!
Ein paar rasche Wimpernschläge, um die Tränen des Entzückens zurückzudrängen.
Sie ist gekommen. Durchs Tor trat gemessenen Schritts eine Gestalt mittlerer Größe, in einem weiten Mantel mit Pelerine, auf dem Kopf ein Hütchen. Als sie sich der Tür näherte, sah der Dekorateur, daß es ein Trauerhut war, mit schwarzer Gaze. Ach ja, wegen Anissi Tulpow. Sei nicht traurig, meine Liebe, er und die Seinen sind schon beim Herrn. Ihnen geht es dort gut. Auch dir wird es gut gehen, gedulde dich noch ein wenig.
Die Tür ging auf, die Frau kam herein.
»Christ ist erstanden«, begrüßte sie mit leiser, klarer Stimme der Dekorateur. »Erschrecken Sie nicht, meine Schöne. Ich bin gekommen, um Sie zu erfreuen.«
Die Frau schien gar nicht erschrocken zu sein. Sie schrie nicht, versuchte nicht davonzulaufen. Im Gegenteil, sie kam näher. Der Mond tauchte die Diele in gleichmäßiges milchiges Licht, und es war zu sehen, wie unter dem Schleier die Augen funkelten.
»Wir sind doch keine Muselmaninnen, die den Tschador tragen«, scherzte der Dekorateur. »Zeigen wir unser Gesicht.«
Er schlug den Schleier zurück, lächelte freundlich, von Herzen.
»Duzen wir uns«, sagte er. »Es ist uns bestimmt, daß wir uns ganz nahekommen, näher als Schwestern. Nun laß mich dein Gesicht sehen. Ich weiß, daß du schön bist, aber ich helfe dir, noch schöner zu werden.«
Vorsichtig streckte er die Hand aus, aber die Frau schreckte nicht zurück, sie wartete. Eine gute Frau hatte Herr Fandorin, eine ruhige, schweigsame. Solche hatten dem Dekorateur immer gefallen. Er wollte nicht, daß sie mit einem Schrei des Entsetzens, mit Angst in den Augen alles verdarb. Sie würde schnell sterben, ohne Schmerzen und Erschrecken. Das würde sein Geschenk für sie sein.
Mit der rechten Hand zog der Dekorateur aus dem Futteral, das hinten am Gürtel befestigt war, ein Skalpell, mit der Linken nahm er den hauchdünnen Schleier vom Gesicht der Glücklichen.
Er sah ein großflächiges, rundes Gesicht und schräge Augen. Eine Sinnestäuschung!
Aber ehe er zu sich kam, flammte in der Diele helles Licht auf, unerträglich nach der Dunkelheit.
Der Dekorateur war geblendet, kniff die Augen zu. Da hörte er hinter sich eine Stimme: »Ich werde Sie jetzt auch erfreuen, Herr Pachomenko. Oder ziehen Sie es vor, mit Ihrem früheren Namen angeredet zu werden, Herr Sozki?«
Die Augen einen Spalt öffnend, sah der Dekorateur vor sich den japanischen Diener, der ihn ohne Lidschlag anstarrte. Der Dekorateur drehte sich nicht um. Wozu auch, er wußte, daß hinter ihm Herr Fandorin stand und wahrscheinlich einen Revolver in der Hand hielt. Der schlaue Beamte war nicht zum Hotel »Zargrad« gefahren. Er hatte
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