Schönheit der toten Mädchen
Gott braucht vielleicht auch Schieche. Soll meine Matrjoschka leben, was kümmert den das.«
»Wie hat er geredet, wie ein feiner Herr oder wie ein einfacher Mann? Wie war er angezogen?«
»Nach der Kleidung kann er ein Handlungsgehilfe gewesen sein, vielleicht auch ein Beamter. Geredet hat er wie ein Herr. Ich hab nicht alle Wörter verstanden. Aber eins hab ich mir gemerkt. Wie er Matrjoschka sah, hat er zu sich selber gesagt: ›Das ist keine Flechte, das ist Näbus flamus.‹ So hat er meine Matrjoschka genannt, das weiß ich noch.«
»Nävus flammeus?« korrigierte Erastik. »So heißt in der Doktorsprache das Feuermal.«
Alles weiß er, ein helles Köpfchen.
»Erastik gehen wir, ja?« Ines zupfte ihr Herzblatt am Ärmel. »Das Konjäkchen wartet.«
»Warum wollt ihr denn schon gehen«, flötete da die freche Nutte Glaschka, »wenn ihr schon mal da seid. Ein Kognak findet sich für den teuren Gast auch bei mir, ein Schustowscher, extra fürs Heilige Osterfest aufgehoben. Wie heißen Sie, schöner Kavalier?«
Masahiro Sibata saß in seinem Zimmer, hatte Duftstäbchen angezündet und las Sutry zum Gedenken an Anissi Tulpow, der vorzeitig diese Welt verlassen hatte, an dessen Schwester Sonja-san und an Palascha, die zu betrauern der japanische Untertan seine besonderen Gründe hatte.
Masa hatte sein Zimmer selbst eingerichtet, was ihn nicht wenig Geld und Zeit gekostet hatte. Strohmatten, die den Fußboden bedeckten, hatte er per Schiff aus Japan kommen lassen. Das Zimmer bekam sogleich einen goldenen,sonnigen Schimmer, und der Boden federte fröhlich unter den Füßen; das war doch etwas anderes als über das kalte, tote Parkett aus dummer Eiche zu stampfen. Möbel gab es bei Masa nicht, dafür war in eine der Wände ein geräumiger Schrank mit Schiebetüren eingebaut – dort waren Decken und Kissen untergebracht, außerdem Masas gesamte Garderobe: ein Baumwoll-Yukata, eine weite weiße Hose und eine ebensolche Jacke für Renshu, zwei dreiteilige Anzüge, einer für den Sommer und einer für den Winter, und noch eine schöne grüne Livree, die der Japaner besonders mochte und nur bei festlichen Gelegenheiten trug. An den Wänden erfreuten das Auge farbige Lithographien, die den Zaren Alexander und den Kaiser Mutsuhito darstellten. In einer Ecke hing über einem Altar eine Papierrolle mit einem alten weisen Spruch: »Lebe richtig und bedaure nichts«. Heute stand auf dem Altar ein Photo – Masa und Anissi im Zoologischen Garten. Es war im vorigen Jahr aufgenommen worden. Masa trug seinen sandfarbenen Sommeranzug und eine Melone und sah seriös aus, Anissi strahlte so, daß der Mund bis zu den Ohren reichte, die ragten unter der Mütze hervor, und hinter ihm stand ein Elefant, der genau solche Ohren hatte, bloß viel größer.
Masa wurde aus den traurigen Gedanken über die vergebliche Suche nach Harmonie und über die Vergänglichkeit der Welt herausgerissen – das Telephon klingelte.
Er ging durch leere dunkle Zimmer in die Diele – sein Herr war in der Stadt und suchte den Mörder, um Rache zu üben, die Herrin war in der Kirche und würde nicht so bald zurückkommen, denn heute nacht war der wichtigste russische Feiertag – das Osterfest.
»Hallo«, sagte Masa in das runde Rohr. »Hier Ansluß von Fandolin. Wer da?«
»Herr Fandorin, sind Sie das?« erklang eine metallische, durch elektrisches Gejaule verzerrte Stimme. »Erast Petrowitsch?«
»Nein, Herr Fandolin nich da«, sagte Masa laut, um das Jaulen zu übertönen. In der Zeitung hatte gestanden, es seien neue vervollkommnete Apparate entwickelt worden, die das gesprochene Wort »ohne den kleinsten Verlust laut und klar« wiedergaben. So einen müßte man kaufen. »Bitte wieder anlufen. Kann ich was bestellen?«
»Danke«, die Stimme ging in ein Rauschen über. »Das ist streng vertraulich. Ich rufe später noch mal an.«
»Ssöne Fest«, sagte Masa höflich und hängte ein.
Es stand schlecht, ganz schlecht. Der Herr war die dritte Nacht ohne Schlaf, die Herrin schlief auch nicht, sie betete nur, in der Kirche oder zu Hause vor der Ikone. Sie hatte schon immer viel gebetet, aber so viel noch nie. Das würde alles ein schlimmes Ende nehmen, obwohl, noch schlimmer konnte es gar nicht kommen.
Hoffentlich findet sein Herr bald den Mörder von Tulisan, Sonja-san und Palascha. Er findet ihn und macht seinem treuen Diener ein Geschenk – er übergibt ihm diesen Menschen. Nicht für lange – für ein halbes Stündchen. Nein, besser für
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