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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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eine Stunde.
    Bei so angenehmen Gedanken verflog die Zeit unbemerkt. Die Uhr schlug elf. Gewöhnlich schliefen um diese Zeit in den Nachbarhäusern längst alle Menschen, doch heute waren die Fenster hell erleuchtet. Eine solche Nacht war das. Bald würden in der ganzen Stadt die Glocken läuten, am Himmel bunte Lichter knattern, auf den Straßen die Leute singen und krakeelen, und morgen würde es viele Betrunkene geben. Ostern.
    Vielleicht sollte er in die Kirche gehen und zusammen mit den anderen dem getragenen Baßgesang lauschen. Alles war besser als allein sein und warten, warten, warten.
    Aber er mußte nicht länger warten. Die Tür klappte, feste, sichere Schritte waren zu hören. Sein Herr kam zurück!
    »Na, grämst du dich allein«, fragte der Herr auf japanisch und berührte Masas Schulter.
    Solche Zärtlichkeiten waren zwischen ihnen nicht üblich. Vor Überraschung schluchzte Masa auf, und dann flossen die Tränen. Er wischte sie nicht weg, mochten sie fließen. Ein Mann muß sich seiner Tränen nicht schämen, es sei denn, er vergießt sie aus Schmerz oder Angst.
    Die Augen seines Herrn waren trocken und glänzten.
    »Ich habe nicht erreicht, was ich vorhatte«, sagte er. »Ich wollte ihn auf frischer Tat erwischen. Aber wir können nicht länger warten. Es bleibt keine Zeit. Heute ist der Mörder noch in Moskau, später kann man ihn in der ganzen Welt suchen. Ich habe indirekte Beweise, es gibt eine Zeugin, die ihn identifizieren wird. Er kann sich nicht herauswinden.«
    »Sie nehmen mich mit?« Masa konnte sein Glück kaum fassen. »Wirklich?«
    »Ja.« Fandorin nickte. »Der Gegner ist gefährlich, und wir dürfen nichts riskieren. Vielleicht brauche ich deine Hilfe.«
    Wieder klingelte das Telephon.
    »Herr, jemand hat angerufen. In einer vertraulichen Sache. Seinen Namen hat er nicht genannt. Er hat gesagt, er ruft wieder an.«
    »Nimm den zweiten Hörer und versuch herauszufinden, ob es derselbe ist.«
    Masa setzte das Metallhorn ans Ohr, bereit zu lauschen.
    »Hallo. Anschluß von Erast Petrowitsch Fandorin. Am Apparat«, sagte der Herr.
    »Erast Petrowitsch, Sie?« knarrte eine Stimme, und es war nicht zu hören, ob es die von vorhin war. Masa zuckte die Achseln.
    »Ja. Mit wem habe ich die Ehre?«
    »Ich bin’s, Sacharow.«
    »Sie?« Die kräftigen Finger der freien Hand ballten sich zur Faust.
    »Erast Petrowitsch, ich muß mit Ihnen reden. Ich weiß, daß alles gegen mich spricht, aber ich habe niemanden getötet, das schwöre ich Ihnen!«
    »Wer war es dann?«
    »Ich werde Ihnen alles erklären. Aber geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie allein kommen, ohne Polizei. Sonst verschwinde ich, und Sie sehen mich nie wieder, und der Mörder kommt ungeschoren davon. Geben Sie mir Ihr Wort?«
    »Ja«, antwortete Fandorin ohne Zögern.
    »Ich glaube Ihnen, denn ich kenne Sie als Ehrenmann. Sie brauchen keine Angst zu haben, Ihnen droht keine Gefahr, ich habe auch keine Waffe bei mir. Ich möchte mich nur mit Ihnen aussprechen … Wenn Sie trotzdem Befürchtungen haben, können Sie Ihren Japaner mitbringen, ich habe nichts dagegen. Aber keine Polizei.«
    »Woher wissen Sie von dem Japaner?«
    »Ich weiß viel über Sie, Erast Petrowitsch. Darum traue ich nur Ihnen … Fahren Sie jetzt sofort zum Pokrowskaja-Tor. Sie finden dort auf dem Rogoshski-Wall das Hotel ›Zargrad‹, ein zweistöckiges graues Gebäude. In spätestens einer Stunde müssen Sie dort sein. Gehen Sie in das Zimmer 52 und warten Sie auf mich. Wenn ich mich überzeugt habe, daß Siewirklich nur zu zweit sind, komme ich zu Ihnen hinauf. Ich werde Ihnen die ganze Wahrheit erzählen, und danach können Sie befinden, was mit mir geschehen soll. Ich unterwerfe mich jedem Entschluß.«
    »Es wird keine Polizei dasein, Ehrenwort«, sagte Fandorin und hängte den Hörer ein.
    »Es ist soweit, Masa, jetzt ist es soweit«, sagte er, und sein Gesicht wirkte etwas weniger tot. »Wir werden ihn auf frischer Tat erwischen und festnehmen. Mach mir einen kräftigen grünen Tee – die Nacht werde ich wieder nicht schlafen.«
    »Was für eine Waffe soll ich Ihnen bereitlegen?« fragte Masa.
    »Den Revolver, weiter brauche ich nichts. Und du nimm dir, was du willst. Merk dir: Dieser Mann ist ein Ungeheuer. Ein starkes, flinkes, unberechenbares Ungeheuer.« Und leise fügte er hinzu: »Ich habe wirklich beschlossen, ohne Polizei auszukommen.«
    Masa nickte verstehend. In solch einem Fall war es ohne Polizei natürlich besser.
     
    Ich bekenne meinen

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