Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
es standen in der Umgebung nicht mehr alle notwendigen Bausteine zur Verfügung und dadurch wurde eine unvollständige Kopie hergestellt. Die weitaus meisten dieser defekten Kopien dürften nicht mehr in der Lage gewesen sein, sich selbst zu replizieren. Sie lösten sich irgendwann auf, und ihre Bestandteile wurden erneut zur Vervielfältigung des ursprünglichen Replikators genutzt. Aber einige wenige konnten sich doch vervielfältigen, obwohl sie nicht mehr mit dem ursprünglichen Molekül identisch waren. Damit gab es in der Ursuppe irgendwann mehrere verschiedene Arten von Replikatoren.
Nach kurzer Zeit müssen die kleineren Bausteine in der Ursuppe, die zur Herstellung der Kopien benötigt wurden, knapp geworden sein. Was geschah nun, wenn zwei verschiedene Replikatoren denselben Baustein aus der Ur-suppe benötigten? Nur einer von beiden konnte zum Zuge kommen. Vielleicht derjenige mit der stärkeren chemischen Bindungskraft. Vielleicht der Replikator, der weniger Bausteine benötigte, um sich zu vervielfältigen, oder derjenige, der widerstandsfähiger gegen die permanenten aggressiven Einflüsse der Umwelt, wie harte Strahlung und »giftige« Moleküle, war. Vielleicht auch derjenige, dessen
Replikationsprozess aus irgendwelchen Gründen schneller ablief. Auf jeden Fall muss die Tatsache, dass die beiden Konkurrenten unterschiedlich waren, einen Einfluss auf ihre Chancen gehabt haben, sich zu vervielfältigen. Und damit steckten sie bereits mitten in dem Prozess, den wir Evolution nennen.
Irgendwann haben sich Replikator-Moleküle entwickelt, die in der Lage waren, andere Replikatoren zu zersetzen und sich ihre Bestandteile einzuverleiben - Raub-Replika-toren sozusagen. Das hatte zur Folge, dass Replikatoren größere Vervielfältigungschancen hatten, die Abwehrmechanismen gegen diese »Räuber« besaßen. Solche Abwehrmechanismen könnten irgendwann die Gestalt von Zellmembranen gehabt haben. Damit näherten sich die Replikatoren in der Ursuppe immer mehr den ersten, primitiven Lebensformen an.
Wir wissen nicht, ob die Entstehung des Lebens tatsächlich so abgelaufen ist. Aber es wäre zumindest möglich.
Wenn es tatsächlich so oder ähnlich gewesen ist, dann waren drei Dinge notwendig, um die Evolution in Gang zu setzen und die Entstehung des Lebens zu ermöglichen:
- Replikatoren, die Kopien von sich selbst herstellen konnten,
- Fehler bei der Herstellung dieser Kopien, die hin und wieder zu reproduktionsfähigen Mutationen führten,
- und eine aufgrund der Umweltbedingungen unterschiedliche Wahrscheinlichkeit dieser verschiedenen Replikator-Arten, erneut kopiert zu werden und sich auszubreiten.
Mehr als diese drei simplen Voraussetzungen braucht es offensichtlich nicht, um einen ganzen Planeten mit Gänse-blümchen, Pilzen, Schnupfenviren, Elefanten und einer Bücher schreibenden Affenart zu füllen.
Na schön, wir sind also irgendwie durch Zufall aus einer Ursuppe entstanden. Kein sehr rühmlicher Anfang, aber immerhin - nach fast 4 Milliarden Jahren - ist die Evolution endlich am Ziel. Sie hat es geschafft, Lebewesen hervorzubringen, die ihre Umwelt so verändern können, dass ihre Überlebenschancen praktisch nicht mehr davon abhängen, wie diese aussieht. Damit hat sie sich selbst außer Kraft gesetzt, denn ob wir Kinder bekommen oder nicht, hängt (fast) nicht mehr von unseren körperlichen Eigenschaften ab, sondern nur noch von unserem Willen. Wir haben uns die Erde untertan gemacht und die Evolution überwunden. Wir sind der Endpunkt - weiter geht es nicht.
Das könnte man jedenfalls glauben. Leider ist jedoch auch die Annahme, die Evolution »gipfele« im Menschen, ein Irrtum. Erstens ist die Evolution nämlich mit dem Auftreten des Menschen keinesfalls beendet. Im Gegenteil trägt der Mensch zu einer erheblichen Beschleunigung der Evolution bei - dies ist der Hauptgegenstand dieses Buches.
Zweitens, und dies dürfte ein empfindlicher Dämpfer für das Ego unserer Spezies sein, strebt die Evolution keineswegs in die Richtung höherer Komplexität und Intelligenz. Diese sind vielmehr zwangsläufige Folgen zunehmender Vielfalt, wie der berühmte Biologe Stephen Jay Gould in »Illusion Fortschritt« nachwies.
Gould vergleicht die Entwicklung der Intelligenz mit einem »Random Walk«, einem Konzept aus der Statistik. Man stelle sich einen Betrunkenen vor, der des Nachts in Schlangenlinien eine Straße entlangtorkelt. Nehmen wir an, die Straße ist sehr breit und auf der
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