Schokoherz
fragwürdigen männlichen Wesen, das sie gestern Abend so abgefüllt hatte, dass sie mir heute keinen Vortrag halten konnte.
»Na bitte!« Ich fischte meinen Pret-ä-Manger- Schokoriegel heraus – den mit der gesunden Keksfüllung – und brach ihr ein großes Stück davon ab. »Bitte schön. Da steckt jede Menge Weizenkleie drin. Besser als jeder Mann, würde ich sagen.«
Louise zog eine Augenbraue hoch und betrachtete den Schokoladenfinger. Dann zuckte sie grinsend mit den Schultern: »Allemal besser ausgestattet als der gestern Abend.«
In diesem Moment tauchte plötzlich Denise hinter uns auf. Sie knisterte förmlich vor negativer Energie. Allein mit der elektrostatischen Ladung ihrer Haare hätte man einen beachtlichen Teil des nationalen Stromnetzes speisen können. Unser Gekicher brach abrupt ab. Schnell bot ich Denise ebenfalls ein Stück von dem Frühstücksriegel an und war erleichtert, als sie ihn königinnengleich zur Seite wischte. Natürlich, wie hatte ich das nur vergessen können: Denise hatte eine Schokophobie. Deshalb setzte ich mich bei größeren Firmenessen auch immer neben sie. Zwei Mal Schokonachtisch und meistens trat sie mir auch noch einen Großteil ihres Hauptgerichts ab. »Und, Bella, was halten Sie von denNeuigkeiten?«, bellte Denise und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. O Gott. Wovon in aller Welt redete sie bloß?
Vorsichtig musterte ich sie und fragte mich, ob ich wohl irgendwelche Schlüsse aus ihrem Äußeren ziehen konnte. Sie steckte in einem schrecklichen, teuren Versace-Kostüm und selbst ihre Stiefel glänzten vor Eifer. Ich habe die schlechte Angewohnheit, Menschen mit Schokolade zu vergleichen. Und Denise war eindeutig ein Walnut-Whip-Riegel. Sie liebte es, auf und ab zu marschieren und dabei ihre Untergebenen zur Schnecke zu machen – ich bin überzeugt, dass lediglich die Aussicht auf Gerichtsprozesse und Strafanzeigen sie davon abhielt, eine echte Peitsche zu schwingen. Denise war außerdem wie gesagt klein und zierlich, mit aufwendiger, edler Umhüllung, unter der sich jedoch eine fade weiße Creme verbarg, und, ja, diese ganze Mischung strotzte nur so vor bitterem Nussgeschmack. Die Ähnlichkeit war fast schon unheimlich.
Mein Hirn arbeitete währenddessen auf Hochtouren. Welche Neuigkeiten um alles in der Welt meinte sie? Denise gegenüber Unwissenheit zuzugeben zahlte sich nie aus. Also würde ich damit ganz sicher jetzt nicht anfangen. Schließlich gehörte sie zu den Menschen, die morgens im Bett noch vor dem Aufstehen sämtliche britischen Zeitungen online lesen und dann in der U-Bahn noch schnell die gedruckten Ausgaben überfliegen, während das BlackBerry regelmäßige Updates vermeldet. Ich hingegen konnte mich seit Olivers Geburt kaum noch aufraffen, meine eigenen Artikel zu lesen, ganz zu schweigen von denen anderer Leute. Die Welt da draußen war seltsam unscharf geworden, seit es ihngab. Außerdem hatten die vielen schlaflosen Nächte mein Konzentrationsvermögen völlig zerstört. »Äh, könnte spannend sein«, schwafelte ich drauflos. »Vielleicht erzählen Sie noch ein bisschen mehr darüber?«
Denise durchbohrte mich mit ihrem Blick, als versuchte sie herauszufinden, ob ich sie auf den Arm nahm. Ihre obsidianschwarzen Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Wollen Sie etwa sagen, Sie haben noch nichts davon gehört?«
Ich seufzte innerlich. Es war schwer, Denise etwas vorzumachen. Vielleicht hatte sie es deshalb so weit gebracht. In Anbetracht der bescheuerten Storys, auf die sie mich in letzter Zeit angesetzt hatte, zweifelte ich jedoch langsam an ihren Fähigkeiten als Redakteurin.
»Ich wollte mich nur vergewissern, wie Sie die Sache sehen, Denise.« Ich legte den Kopf zur Seite. Sie warf mir einen letzten bitterbösen Blick zu, bevor sie mich widerwillig in das einweihte, was ich hätte wissen sollen: Cherry Brown, früheres Model und Ehefrau eines Rockstars, hatte gestern Morgen beim Reinholen der Milch ziemlich fertig ausgesehen. Zwei Wochen nach der Geburt ihres dritten Kindes. Das war's auch schon. Ihr unverzeihliches Verbrechen bestand vor allem darin, sich in solch schlechter Verfassung erwischen zu lassen. Die Herren mittleren Alters in den Führungsetagen der Daily News hielten dies, ebenso wie Bohnenstange und ausführendes Organ Denise, für absolut unentschuldbar.
»Also eintausendfünfhundert Wörter darüber, warum man sich nicht gehenlassen sollte. Klar?«
Verdammt! Das war der mit Abstand schlechteste Auftrag,
Weitere Kostenlose Bücher